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Antonio Scurati - M. Der Sohn des Jahrhunderts. Roman
Buchinformation

„Wir gedenken nicht. Wir haben uns hier zu einem Ritual versammelt, zu einem religiösen Ritual, dem Ritual des Vaterlandes. Der Bruder, den ich nicht nennen muss, weil sein Name in diesem Augenblick in den Herzen aller Menschen diesseits und jenseits der Alpen und der Meere erklingt, ist kein Toter, kein Besiegter und nicht einmal ein Ermorderter. Er lebt, er ist hier, und er kämpft. Er ist ein Kläger, er ist ein Richter, er ist ein Rächer. Vergeblich haben sie seine Gliedmaßen zerstückelt. Vergeblich haben sie sein sanftes, strenges Gesicht entstellt. Die Gliedmaßen haben sich wieder zusammengefügt. Das Wunder von Galiläa ist neu belebt. Das Grab hat uns den Leichnam zurückgegeben. Der Tote erhebt sich. Und er spricht. Und ich schwöre ihm im Namen von euch allen, dass sein Schatten schon bald besänftigt wird.“


Im Vertrauen des Königs

Diese eindringlichen Worte von Filipo Turati über seinen ermordeten Abgeordnetenkollegen Giacomo Matteotti wurden am 27.Juni 1924 im italienischen Parlament ausgesprochen. Die Entführung und Ermordung des Abgeordneten Matteotti am helllichten Tage in Rom durch fünf Faschisten steht geradezu exemplarisch für die dreiste Gewalt der Faschisten in Italien. Denn die Faschisten hatten schon unmittelbar nach dem Krieg das Land mit einer noch nie dagewesenen Welle der Gewalt übersät und wahllos und willkürlich ihre politischen Gegner nicht nur bedroht und eingeschüchtert, sondern teilweise auch auf bestialische Weise ermordet. Rizinusöl war nur eine von vielen Methoden der Faschisten gewesen, ihr Gegner zu erniedrigen. Die alltägliche und alles durchdringende Gewalt des Faschismus hatte sie in den Jahren nach dem Krieg sogar ins Parlament gebracht und 1924 war ihr Duce Mussolini so bereits Ministerpräsident, das Parlament in der Mehrheit rechts und Matteotti einer der letzten der noch etwas gegen Mussolini in der Hand hatte und es auch benutzen wollte.
Beinahe hätte der Mord an Matteotti den unaufhalsamen Aufstieg des Usurpators Mussolini und seiner Schwarzhemden zu Fall gebracht. Aber Mussolini genoss weiterhin das Vertrauen des Königs.

M. Der Sohn des Jahrhunderts


Antonio Scurati zeigt in seinem spannungsgeladenen und hochinteressanten „Roman“, dass die Geschichte schließlich doch dem „Sohn des Jahrhunderts“ gehörte und dieser sich gegen alle menschliche Vernunft durchsetzte. Als beispielloser Intrigant und Politiker verstand es der selbsternannte „Duce“ immer wieder sehr gut, seine Gegner einzuseifen und zu irritieren, selbst in den eigenen Reihen. Mussolini spielte selbst die eigenen Leuten, Arditi, Squadristen und Faschisten an die Wand. Am besten dann, das zeigt Scurati akribisch, wenn er selbst mit dem Rücken zur Wand stand. Der Aufstieg des italienischen Diktators in den Jahren 1919-1925 wird von Antonio Scurati wie eine (un)aufhaltsame Tragödie geschildert, da Benito Mussolini nicht nur sein Land, sondern auch seine Mitkämpfer in den Ruin führte. In einer beispiellosen, aber auch teilwiese rüden Sprache vermag es Scurati zu fesseln und gleichzeitig den Spannungsbogen über mehr als 800 Seiten aufrecht zu erhalten. Immer wieder schildert er auch die Rückschläge des Faschismus und die Momente, in denen er aufgehalten hätte werden können.

Am Ende eines Kapitels führt Scurati die Zitate und Quellen, damit sich der Leser auch selbst orientieren kann, welcher Sprache sich wer bediente. Scurati kennt viele Details und man fragt sich, ob überhaupt etwas daran Fiktion (was einen Roman ja auszeichnet) ist, so glaubwürdig und authentisch sind seine Schilderungen des Aufstiegs von Mussolini. Nicht umsonst wurde „M“ auch mit dem Premio Strega, dem höchsten italienischen Literaturpreis, ausgezeichnet.

Antonio Scurati
M. Der Sohn des Jahrhunderts. Roman
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull
(Orig.: M. Il figlio del secolo, Bompiani)
3. Druckaufl. 2020, 830 Seiten, gebunden, Lesebändchen
ISBN 978-3-608-98567-2
32,00 EUR (D), 32,90 EUR (A)
Klett-Cotta Verlag

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2020-10-08)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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