Endlich hat sie uns in Germanistan erreicht, die erste Staffel der lang erwarteten HBO-Reihe Boardwalk Empire. Und wie immer, wenn sich Martin Scorsese die Ehre gibt, bekommt man eine komplexe Welt kredenzt, die von der Profanität des Alltags bis in das weite Feld der Politik und des organisierten Verbrechens reicht. Diesmal ist es, im Gegensatz zu der zeitgenössischen und hoch aktuellen Welt der Sopranos eine historische Betrachtung. Schauplatz ist Atlantic City, seinerseits nicht weit von Philadelphia und New York gelegen und selbst nur eine Tagesreise von Chicago entfernt, um einen infrastrukturellen Reiz auszuüben angesichts einer Zeit, in der sich der Pietismus durchgesetzt und die Prohibition zur Folge hatte.
Protagonist ist der von Steve Buscemi glänzend dargestellte Enoch Nucky Thompson, seinerseits Kämmerer der Stadt und Strippenzieher der illegalen Alkoholherstellung und ihres Vertriebs. Der Mann, der über exzellente Umgangsformen verfügt und dennoch über Leichen geht steht für die Verwebung von Politik, Doppelmoral und organisiertem Verbrechen. Ein Mensch, der durchaus Gewinnendes an sich hat und durch seine soziale Kälte nur noch Schaudern zurücklässt.
Sollte in dieser ersten Staffel eine Moral mit dabei sein, dann handelt es sich um die Botschaft, dass eine moralistisch motivierte Politik nur das Gegenteil bewirkt. In der Zeit der Prohibition wurde der Humus ausgelegt für die Organisation der Mafia und nie danach hatte die Prostitution einen derartig akzeptierten gesellschaftlichen Stellenwert wie dort. Die Welt des Nucky Thomson ist hoch aktuell, auch wenn sie sich im Historischen bewegt, sie besitzt nicht die aktuellen Bezüge, wie es die Sopranos vermochten, aber sie ist gut lesbar als der Vorspann zu deren Biotop im heutigen Amerika.
Illustriert ist Boardwalk Empire mit atemberaubenden Figuren. Neben Nucky Thompson tauchen Gestalten wie Lucky Luciano und Al Capone ebenso auf wie seine rechte Hand Jimmy sowie die laszive Lucy und die hoch gelildete, aber dennoch als Konkubine endende Mrs. Schroder. Iren, Italiener und Deutsche sind auf allen Schauplätzen maßgeblich beteiligt und eine Figur wie Chalky, einem Afroamerikaner aus der Schnapsbrennerszene bleibt es vorbehalten, ein berühmtes Filmzitat vorzubringen, das aus Mississippi Burning stammt und die Nachfahren der Sklaven zu Verhörern des Klu Klux Klan werden lässt. Nucky Thompson bringt diese Welt auf den Punkt, indem er fragt, sind wir nicht alle Immigranten?
Die einzelnen Folgen plätschern zunächst etwas dahin, bis das Gewebe deutlich und der Zusammenhang klar wird zwischen dem notwendigen politischen Einfluss als Vorbedingung zum Zugang zu den Geldquellen. Die Qualität Martin Scorseses besteht unter anderem darin, dass er sehr gut kontrastieren kann, ohne schlicht schwarz-weiß zu malen. Die Goodys sind zuweilen schlimmere Drecksäcke als die Badys und letztere wiederum haben teilweise edle Züge. So wird die Welt so, wie sie ist, die Mischzustände machen das Wesen aus und das sich darin notwendige Zurechtfinden wird zum eigentlichen Mysterium des Daseins. Politisch korrekt ist das alles gar nicht, aber es zeigt, wie wenig dieser Politikzugang Einfluss auf deren tatsächliche Qualität ausübt. Boardwalk Empire ist eine Geschichte, aus der wir vieles lernen können. Ein glänzender Auftakt!
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-03-13)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.