Die Keimzelle für die Entwicklung unseres Kontinents seien die Reichsbildungen der Völkerwanderungszeit gewesen, die sogar bis in die Frühmoderne reichen würden, schreibt der Herausgeber Michael Erbe. Die Auflösung des römischen Reiches rückt in den Mittelpunkt, wenn man bedenkt, dass dessen Vermächtnis in Form der christlichen, auf Rom hin orientierten Kirche und der von ihr bewahrten lateinischen Wissenschafts- und Literatursprache für das Mittelalter sehr prägend war und das oströmische Reich im Bewusstsein der Europäer immer mehr in eine Randlage geriet. Der vorliegende Band sei kein wissenschaftliches Handbuch, sondern solle mit dem aufbereiteten Stoff die Beschäftigung der Lektüre von anderen Handbüchern erleichtern, so Erbe.
Mittelalter: Geburt der Univeristäten
Der Begriff Mittelalter sei in der Stadt Arezzo von Francesco Petrarca (1303-1374) geprägt worden. Im Zusammenhang mit der Renaissance (ital. rinascita) habe sich das Anliegen der Humanisten, Bildung zugänglich zu machen, allmählich in ganz Europa verbreitet. Unter einem solchen verstand man einen Lehrer und Studenten der studia humanitas, also der Fächer Grammatik, Rhetorik, Geschichte, Poesie und Moralphilosophie, die selbstverständlich an die septem artes liberales der Antike angeknüpft sind: das Trivium mit Grammatik, Rhetorik, Dialektik und das Quadrivium mit Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie, also die redenden und die rechnenden Künste, unterschieden von Boethius’ artes illiberales, mechanicae, sordidae. Für die Sieben Künste gibt es keinen materiellen Zweck und deswegen sind sie auch den anderen überlegen, sie dienen allein dem (zu Gott führenden) Erkenntnisgewinn.
Ville-Cité-Universitè: Paris im Mittelalter
Weitere Begriffe, die das Mittelalter prägen und zeigen, dass es gar nicht so „dark“ war wie sein Ruf, sind etwa Land- und Landwirtschaft, Städteentwicklung, Klosterleben und die Entwicklung der Universitäten als Bildungseinrichtungen. Als sich der Pariser Bildungsbetrieb von der Ile-de-la-Cité (Kathedrale Notre-Dame) auf das linke Seineufer (Quartier Latin) verlagert, beginnen sich auch die dort Lehrenden freier zu fühlen und sich nicht mehr vom Bischof überwacht zu fühlen, wie auf der Ile. Einer davon ist Petrus Abaelard (1079-1142), der die Lehrmethode der Scholastik entwickelt. Paris (Ville-Cité-Université) hat nunmehr eine Universität, die einen Vorlesungsbetrieb mit eigenen Statuten und Regelungen, die durch einen Zusammenschluss von Lehrern und Studenten organisiert werden. Dass Abaelard dann auch eine seiner Studentinnen Heloise sein Herz verliert, sei hier als Anekdote erwähnt, schmälert aber selbstverständlich nicht die Ernsthaftigkeit des Unternehmens.
Weitere Kapitel beschäftigen sich auch mit der Völkerwanderung und dem Frankenreich, den Außenseitern, der Pest und den Judenverfolgungen des Mittelalters. Eine Zeittafel am Ende des Bandes und viele interessante Illustrationen verführen den Lesern zu einem vertiefenden Studium des Mittelalters.