Die letzte große Egon Schiele (1890-1918) Ausstellung liegt schon etwa zehn Jahre zurück und ein Jahr vor dem großen Jubiläum anlässlich des 100. Todestag 2018 beginnt das Albertina Museum in Wien mit einer großen Werkschau von 160 Zeichnungen in ihren wunderschönen Räumlichkeiten. Der nur 28 Jahre alt gewordene Künstler, der an der Spanischen Grippe starb, wird dabei einer Neuinterpretation unterzogen, die ihn vor allem auch als sozialkritischen Künstler zeigt und nicht als den allseits sein Werk auf Pornographie reduzierten Sensations- und Provokationskünstler. Werke aus der Sammlung der Albertina ergänzt durch hochkarätige Leihgaben werden ausgestellt und zeigen die Entwicklung Schieles als Zeichner und Aquarellisten. Der beim hochkarätigen Hirmer Kunstverlag erschienene Begleitband zur Ausstellung zeigt in vielen Beiträgen von Schiele-Kennern das Werk und die Person, den Menschen, Egon Schiele, der neben Gustav Klimt und Oskar Kokoschka zu den Bahnbrechern der österreichischen Moderne
zählt.
Schiele im Zeichen des „V“
„Zum Auftakt des Gedenkens an seinen 100. Todestag wird in diesem Band Schieles faszinierendem Werk mit neuem Blick begegnet und zugleich ein Paradigmenwechsel in der Interpretation seines OEuvres eingeläutet.“, so die Herausgeber über den 380 Seiten starken Prachtband, der auch viele Werke von Schiele in großformatigen Reproduktionen (25 x 29 cm) zeigt. Inspiration fand der junge Künstlern nicht nur in seinem persönlichen Milieu, sondern auch in antiker, byzantinischer und selbst barocker Kunst. So zeigt etwa das Albumcover des vorliegenden Kunstbandes Schiele als Reproduktion des Pantokrators mit Heiligenschein und Victory-Zeichen im Selbstporträt. Sein Verhältnis zu den beiden Schwestern Edith und Adele, das sich zufällig aus der Nachbarschaft seines neuen Ateliers in Wien, das er im November 1914 bezog, entwickelte und bis zur Heirat und dem frühen Tod führte gilt als ebenso delikat wie seine Radierungen und Zeichnungen, die ausgemergelte Frauen zeigen, denen der Hunger und die Verzweiflung nicht nur ins Gesicht, sondern auch in den Körper geschrieben steht.
Schiele als „Sozialkritiker mit ethischem Anspruc“
Die Reduktion von Klimts Bildern auf schlichte pornographische Nacktheit hätte schon längst einer kritischen Prüfung unterzogen werden sollen und so ist es höchste Zeit, dass dies kurz vor 2018, 100 Jahre nach seinem Tod, doch noch geschieht. Denn Schiele war vor allem auch ein Sozialkritiker mit hohem ethischen Anspruch und ein Künstler, der in Armut keine Schande sah, sondern die Verantwortung der Gesellschaft. Die Töchter des Schlossermeisters Johann Harms, Adele und Edith, saßen ihm wohl auch Modell und Schiele kannte keine Berührungsängste mit dem sog. Proletariat, obwohl er selbst als Am 12. Juni dieses Jahres kommt Egon Schiele als drittes Kind des Oberoffizials der k.u.k. Staatsbahn Adolf Eugen Schiele und Marie Schiele in der niederösterreichischen Kleinstadt Tulln zur Welt gekommen war.
Schiele und das Elend des Krieges
Schiele sei nie ein Genremaler gewesen, schreibt Kurator, Museumsdirektor und Herausgeber Klaus Albrecht Schröder im Vorwort zum vorliegenden Prachtband des Hirmer Kunstverlages. Er erzähle nicht, und gebe keine Auskunft über das wann und warum. Schieles Werk könne entgegen landläufiger Vermutungen als Ausdruck einer Epochenkrise bewertet werden. Ein Jahrhundert ging mit einem Weltkrieg zu Ende oder ein anders begann mit einem weiteren Weltkrieg. Das lange 19. Jahrhundert mit seinen Monarchien und einer strikten Trennung zwischen oben und unten kam zu einem schrecklichen Ende und eine neue hoffnungsvolle Neue Zeit begann. Schiele ist der Maler dieser Neuen Zeit, seine „Ästhetik der Inszenierung“ zeigt eine untergehende Welt, die auch mit seinem Tod 1918 zu Ende ging.
Hg. Klaus Albrecht Schröder, Johann Thomas Ambrózy
Egon Schiele
Ausstellungskatalog zur Ausstellung in der Albertina
Beiträge von J. Th. Ambrózy, K. A. Schröder, E.Werth
Hirmer Verlag, 380 Seiten, 328 Abbildungen
25 x 29 cm, gebunden
ISBN: 978-3-7774-2768-3
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2017-03-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.