„Aber in jedem Wesen habe ich nur dich gesucht“, sagt Fridolin in der berühmten Eifersuchtsszene am Anfang der Traumnovelle zu Albertine, seiner Frau. In der unter dem Titel „Eyes Wide Shut“ unter der Regie von Stanley Kubrick verfilmten Version von Arthur Schnitzlers genialer Erzählung, rauchen die beiden Protagonisten, dargestellt von Tom Cruise und Nicole Kidman, zuvor einen kleinen Joint. Der paranoide Dialog scheint sich im Film aufgrund des Drogenkonsums zu entwickeln und vielleicht auch deswegen in einen Streit auszuarten. Bei Schnitzler sind es allein die seltsamen Verirrungen der Liebe, die diese Paranoia und den dazugehörigen Konflikt auslösen. Die Eifersucht entsteht aufgrund des verletzten Vertrauens, des verletzten Selbstwertgefühls, das durch die Geständnisse des Liebespaares ausgelöst werden. Manchmal wäre es besser zu schweigen, als seine Jugendsünden preiszugeben. Gerade in Ehen kann dies verheerende Folgen haben. Eine dieser Folgen wird in der Traumnovelle peinlich genau und akkurat geschrieben und ist in seiner Präzision wohl kaum zu übertreffen. Von niemandem.
Aber es sind keine Jugendsünden, die Albertine Fridolin beichtet. Es sind Tagträume, Wünsche, verborgene Sehnsüchte, die sie während ihrer Ehe mit Fridolin hegte. Und gerade das bringt ihn zur Raserei und schürt die Rachegedanken in seinem ansonsten emotionsfreien Gehirn. Die Traumnovelle heißt wohl deswegen so, weil man auf die Träume der anderen nicht eifersüchtig sein kann, Albertine hätte diese durch ihre Heirat wohl kaum abstellen oder unterbinden können. Der imaginierte Liebhaber und reale Däne wird so zu einem Nebenbuhler Fridolins, einem Partner im Schattenboxen, bei dem es keinen Gewinner geben kann oder besser vielleicht nur einer gewinnen kann, nämlich die Verkörperung des Traums, also der Däne. Nicht zuletzt wird später in der Erzählung auch der Eintritt in das Reich von Fridolins eigenen Sehnsüchten durch die Parole „Dänemark“ gewährt. Doch dieser Zugang sollte sich bald als Disaster erweisen, als Katastrophe für Fridolin und seine kleine Familie und nur durch das Opfer einer ihm wohlgesinnten Person kann das schlimmste für ihn verhindert werden. Vielleicht will Schnitzler damit auch sagen, dass es besser ist, nicht alle Träume zu verwirklichen, denn es könnten dadurch mehr Personen zu Schaden kommen als einem selbst lieb ist.
In der Chronologie der Geschichte trennt sich das Liebespaar, weil Fridolin, der Arzt, zu einem sterbenden Patienten gerufen wird. Doch als er bei diesem eintrifft ist dieser schon tot und seine Tochter erwartet den Arzt in gedrückter Stimmung. Tod und Eifersucht liegen hier dicht hintereinander, die erste Szene war der Streit des Ehepaares, in der zweiten folgt der Tod des Hofrats und die sich entflammende Liebe der Tochter zum vermeintlichen Retter Fridolin. Tod und Eifersucht, Tod und Erotik. Mit „Es war ihm als schwiege der Tote mit ihnen“, wird diese seltsame Szene von Schnitzler beschrieben. Und gerade als die Tochter sich Fridolin eröffnen will, stört wieder eine Glocke, so wie zuvor, in der ersten Szene, ein Telefonanruf die Streitenden getrennt hatte. Die Liebe oder zumindest das, was die Protagonisten dafür halten, wird also abermals unterbrochen und von außen gestört. In letzterem Fall zum Glück für Fridolin. In ersterem zum Pech.
Fridolin flieht und irrt also durch die Straßen Wiens, Rathausplatz, Josefstadt, begegnet Coleurstudenten und hegt seinen Groll gegen den jungen, ihm unbekannten Dänen, mit dem er sich gerne schlagen würde, aber nicht mit diesen wildgwordenen „Alemannen“ (sic!). Er fühlt sich heimatlos, wie ausgestoßen und die Szenerie mutet gespenstisch an, bis er in einer Kellerbar seinem alten Freund und Studienkollegen Nachtigall begegnet. „Nachtigall, Nachtigall, was singst du da für ein Lied?“ Lautet die prosaische und ebenso prophetische Frage an seinen Freund, als dieser ihn in eines seiner düstersten Geheimnisse einweiht und die schon späte Nacht in ihre gefährlichsten Morgenstunden fortschreitet.
Die Novelle schreitet noch über die Nacht hinaus bis zum nächsten Morgen fort. Arthur Schnitzler beschreibt die Geschehnisse in dem Palast mit ebenso eindringlichen Worten wie Kubrick später Bilder dafür gefunden hat. Es ist eine geniale Reise in die Abgründe der menschlichen Seele, ein Ausflug ins Unterbewusste, der Sie hier erwartet und auch Ihre eigenen geheim gehegten Wünsche hervorbrechen lassen wird. Während Fridolin im Palast um sein Leben kämpft, liegt Albertine nämlich zu Hause im Bett und träumt ihre Rache. Wenn sie diesen Traum dem Heimkehrenden erzählt, sinnt dieser erst recht auf Rache und Vergeltung. Sie habe sich in ihrem Traum als das enthüllt oder besser entlarvt, was sie wirklich sei: „treulos, grausam und verräterisch“. Fridolin macht sie für ihre Träume verantwortlich und glaubt, dass kein Traum völlig Traum sei. Am Ende stehen die Sätze von Albertine, dass sie froh sein müssten und dem Schicksal dankbar, dass sie trotz allem noch zusammen seien. „Nun sind wir wohl erwacht. Für lange.“, und sie fügt noch flüsternd hinzu: „Niemals in die Zukunft fragen.“
Die drei CDs sind ohne Booklet und in einem auf den Sprecher angepassten Design. Es zeigt ihn mit einer Maske verhüllt, aber auch eine Dame, dazu ein paar Zitate aus der Traumnovelle auf schlichtem weinrot-violettem Hintergrund. Das Artwork ist ehrlich gesagt nicht gerade mein Fall und auch der Hinweis „literarische Vorlage zu Eyes Wide Shut“ hätte man sich sparen können. Das hat Arthur Schnitzler nicht verdient, er würde sich wohl auch ohne diesen Zusatz verkaufen, denn die Erzählung ist um vieles genialer und vielschichtiger wie der Film, auch wenn ich – wie Sie sehen – selbst nicht darauf verzichten konnte, die filmische Umsetzung unerwähnt zu lassen. Aber Kubrick ist auch wirklich einer der wenigen, der das kann. Matthias Schweighöfers Stimmer wirkt am Anfang etwas zu jung, als dass sie den Narrator machen könnte, doch man gewöhnt sich dann doch schnell an sie. Er bringt auch die „Miezi“ gut rüber und weiß im richtigen Moment die Stimme zu heben oder zu senken, oder Pausen zu machen. Der Text ist ohnehin so genial, dass die Stimme dann gar nicht mehr so ins Gewicht fällt, aber man hört ihm dann doch gerne zu.
Matthias Schweighöfer, 26, in Mecklenburg-Vorpommern geboren, ist Sohn eines Schauspielerpaares und gehört heute schon zur ersten Garde junger Darsteller in Deutschland, zuletzt war er im „Roten Baron“ zu sehen, demnächst wird in der „Operation Walküre“ an der Seite von Tom Cruise zu sehen sein. Wer mehr über ihn wissen will konsultiere seine gleichnamige Homepage.
Arthur Schnitzler
Die Traumnovelle
Gelesen von Matthias Schweighöfer
3 CDs 167 Minuten