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Hansjörg Schneider - Hunkeler und die goldene Hand
Buchinformation
Schneider, Hansjörg - Hunkeler und die goldene Hand bestellen
Schneider, Hansjörg:
Hunkeler und die goldene
Hand

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(Bücher frei Haus)

Der siebte aus der mittlerweile neun Bände umfassenden Serie mit Romanen um den Basler Kriminalkommissär Peter Hunkeler. Schneider, wie sein Protagonist aus dem ländlichen Aargau stammender Basler, ist schon 55 Jahre alt gewesen, 1993, beim Erscheinen des ersten Buchs, bei diesem hier dann 70. Sehr viele Hunkeler-Romane können kaum noch kommen. Und das ist gut so.

Hansjörg Schneider, ausgebildeter Germanist und Deutschlehrer, dann Dramaturg am Basler Theater, Autor zahlreicher Stücke, ist seit den frühen siebziger Jahren ein produktiver, aber außerhalb der Schweiz wenig beachteter, der dritten Garde zugerechneter Künstler gewesen. Popularität brachte ihm erst dieser Kommissär. Von den Fällen hat das Schweizer Fernsehen sechs bislang verfilmt. Schließlich hat der Diogenes Verlag die Reihe, die zuvor gebunden bei Ammann, als Taschenbuch bei Bastei veröffentlicht worden war, mit genau jener Optik kleiner, gebundener Bände samt Lesebändchen, Stadtplan als Vorsatzpapier, ohne Schutzumschlag (zu einem günstigen Preis) herausgebracht, wie man das von Diogenes‘ gesammelten Maigret-Krimis seit Jahren kennt.

In der Tat ist Hunkeler ein Typ Ermittler, wie man ihn von Georges Simenon, vor allem aber ja auch dessen Schweizer Abwandlung durch Friedrich Glauser („Wachtmeister Studer“) gewöhnt ist. Ein beleibter, brummeliger, eigentlich dann doch wieder netter, väterlicher Mann kurz vor der Pensionierung. Auf Vorschriften und Vorgesetzte nimmt er keine Rücksicht, auch neumodisches Zeug wie Teamarbeit und wissenschaftliche Methoden tangieren ihn äußerst peripher. Stattdessen fährt er jeden Tag in der Gegend spazieren, geht einen Wein trinken, schwatzt mit den Leuten, die er antrifft.

Auf der anderen Seite ist dieser alles andere als witzige (kein Haas’scher Brenner also!) Alte recht oft aufbrausend. Man kennt diese Tendenz aus zahlreichen deutschen Regionalkrimis seit Langem. Ist der Polizist oder Detektiv als Charakter knorrig und „Urgestein“ genug, werden die um den Handlungsort verstreuten Sehenswürdigkeiten und Volksgebräuche vom Text genug oft erwähnt, sind plausible Handlung, mitreißende Spannung und eine unerwartete Auflösung fast schon entbehrlich.

Wegen seines kaputten Rückens hat man Hunkeler dieses Mal Kuren im Thermalwasser des nah gelegenen Solbads Rheinfelden (Aargau) verordnet. Ganz zufällig plantscht im selben Becken Basels überragender Kunsthändler, zugleich ein schwuler Paradiesvogel und vielleicht sogar international agierender Hehler von Beutekunst. (Nicht von ungefähr liegt einem der Name Ernst Beyeler auf der Zunge, der war jedoch heterosexuell und starb 2010 eines natürlichen Todes.) Leider hat keiner hingeschaut in der Sekunde, als dieser Kunstmensch erstochen wurde. Und, wie der Zufall das fügt, sind auch noch der aus feinsten Basler Großbürgerkreisen stammende Präsident des dortigen Kunstvereis sowie der aus Stricherkreisen aufgestiegene Lover des Toten, wie auch ein über die Grenzen Europas operierender tschechischer Kunsträuber in der Schwimmhalle vom Rheinfelder „Marina Hotel“ (in echt heißt es „Eden“). Sowie noch einige im benachbarten (badischen) Dossenbach ansässige Möchtegern-Indianerinnen. Und diese wiederum wollen den Bisons die Freiheit geben. Denn, siehe da, auf der Hochweide im Jura hinter Rheinfelden wird just zu dieser Zeit die Büffelzucht probiert.

Die Polizei verhaftet den schwulen Lover. Der war’s aber natürlich nicht und hängt sich auf, weil er als Schwuler die Demütigung des Basler Polizeiknasts nicht erträgt. Hunkeler hatte extra gewarnt!

Unser Kommissär ist ein äußerst umtriebiger Mensch. Obwohl es im Dreistaatenland um Basel am Rheinknie unglaublich schön sein muss, hält es ihn an keinem einzigen Platze mal länger als 24 Stunden. Seine Kur, obwohl vom Feinsten, bricht er ab. Ab jetzt absolviert er einen wahnsinnigen Ermittlungsparcours hin und her durch die Regio. Dem Leser im fernen Ostdeutschland oder Oberösterreich wird es nicht aufstoßen. Allerdings behandelt das Buch seine Schauplätze sowieso, als würden nur eingefleischte Mitbasler und sonstige Alemannen es kaufen. Sie allerdings dürfen staunen, wo Hunkeler in nächster Zeit überall vorbeischaut - zwischen Mulhouse im Elsass, dem Feldberg im Südschwarzwald, Zofingen im Schweizer Mittelland. Und nie ohne Fund! Überall, wirklich überall wartet ein Detail aus der Fall-Verwicklung auf ihn, das er dann nur noch aufheben muss.

Da gibt es Hunkelers Basler Stadtwohnung im hemdsärmeligen Quartier St. Johann, dort auch die Stammkneipe. In den Bergen südlich Rheinfeldens warten Buuser Egg und Farnsburg auf ältere Spaziergänger. Dort sind die Bisons „befreit“ worden. Im historischen Städtchen drunten am Rhein nimmt Hunkeler an einer Stadtführung teil, kriegt Krach mit der Führerin, wird aber auf einen vor langer Zeit verschwundenen Kunstschatz aufmerksam, der mit dem Investiturstreit-Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden etwas zu tun hat. Drüben im Schwarzwald-Vorgebirge Dinkelberg wohnen die Indianerdamen. Und die sind verdächtig feindlich gegen den Gast aus der Nordschweiz eingestellt. Und dann passiert eine Reihe Kunstdiebstähle in Mulhouse, Zofingen, Rötteln (bei Lörrach im deutschen Wiesental). Zwischendrin auch mal wieder in einem von den vielen Basler Museen. Hunkeler betreibt Nachforschungen in Aftersteg bei Todtnauberg. Eine Stippvisite im lauschigen südelsässischen Sundgau schließt sich an. Denn dort besitzt unser Polizist (wie zufällig auch sein Schöpfer, Hansjörg Schneider) ein altes Bauernhaus als kleine Idyllen-Dependance. Seinen Ruhestand stellt er sich mit sehr viel eigener Schinkenspeckzucht vor; seine Freundin will nicht so recht. (Übrigens besitzt Autor Schneider auch noch ein Schwarzwälder Berghaus bei Todtnauberg. Sozialisten, wenn sie in ihre späteren Jahre kommen.)

Beim Beginn seiner Niederschrift dürfte Schneider eher eine schemenhafte Vorstellung, was in dem Buch dann geschehen wird, gehabt haben. Manchmal fragt man sich, ob der betagte Schriftsteller ein wenig unkonzentriert geworden ist. Und auch, wie viel von Schneiders Aggressivität sich im Hunkeler-Helden artikuliert. (Nach dem Tod seiner Frau hat Schneider ein sehr privates Buch über die Jahre mit ihr veröffentlicht, in welchem nicht nur Faires, vor allem nicht über die Schweizer Schriftstellerszene, zu lesen stand.)

Wo immer Hunkeler sich hinwendet, wartet ein Stückchen Mottenkisten-Krimi-Klamauk. Alles, was ein alter Sportskamerad in der Heimatzeitung aufschnappen konnte, lässt sich für diese Art „altdeutscher“ Fernsehkrimi-Überraschung noch verwerten. Basel und seine Umgebung scheinen ein Märchenpark mit satt gemalten Karton-Pistolen zu sein. Wer je „Der Kommissar“, „Derrick“ oder „SOKO 5113“ verehrte, er darf sich Hunkeler-Krimis getrost anvertrauen. Weiter in die tatsächliche Realität einer Gesellschaft als dazumal jene, zwingen Hunkeler-Bücher ihn auch nicht hinaus.

Leider kann ja die echte Hand von Rudolf, schwarz mumifiziert, nicht in der Johanniterkapelle von Rheinfelden liegen, weil sie in Merseburg hinter Panzerglas verwahrt wird. Lasst uns einfach eine goldene Schatulle ersinnen, in der sie vordem nämlich drin gewesen war! Und diese Schatulle aus (schwer erklärlichen) Gründen (mittels eines Camping-Vans) ins Auen-Dschungel-Naturschutzgebiet am Grand Canal d’Alsace verschieben. Auch ja vor allem, damit es eine kleine Schießerei im blassen Morgenschimmer dort geben kann. Dann muss das Kästchen flugs zurück nach Rheinfelden, wo (keine Ahnung, wie) der viel später losgefahrene Hunkeler wartet, damit er genau zusehen kann, wie die goldene Armhülle beim „Inseli“ im tödlichen Rheinwirbel verschwindet. (Für immer, angeblich, muss ein Meer sein.) Dass in diesem Strudel der Tod lauert, war vorher im Buch gesagt worden, als Hunkeler mit einem zwielichtigen Lokalhistoriker am gegenüberliegenden deutschen Ufer Wein trank und sonst nichts heraus gebracht hat. (Außer dies eben.)

Warum er all die schönen Sehenwürdigkeiten in Basels Umgebung ständig anfährt, ist für den Hunkeler oft wie reiner Zufall. Aber dass er immer irgendwas mitnimmt, was er zwar noch nicht gleich erkannt hat, was später in der Mär um den toten Galeristen an die richtige Stelle aber passen wird, ist kein Zufall. Die seltsamen Methoden des Hansjörg Schneider stecken dahinter.

In unserem Zitat begleiten wir Peter Hunkeler, nachdem er es in seinem Sundgauer Haus nicht mehr aushält, auf einen Marsch über matschige Feldwege. Dort war mal die Maginot-Linie und die bestand aus Bunkern und unterirdischen Festungen. Was wird jetzt auf uns warten? Selbstverständlich eine der Übernachtungsstationen vom mysteriösen Tschechen-Gangster, der sich bei seinen Raubversuchen im Kreis um Basel herum bewegt. Starke hundert Kilometer durch die Gegend. Weil er ja böse ist, hat er keine Augenbrauen. Damit die Leute sich deswegen nicht an ihn erinnern könnten, klebt er sich künstliche mit Mastix an. (Diese Sorte Einfall regnet es bei Schneider. ) Und jetzt der Fund von Mastix im Bunker irgendwo draußen auf dem Acker, in der Nähe von Basel. Schließlich steht Hunkelers Haus in der Nähe!

Zitat:

Er richtete den Lichtstrahl ins Dunkle hinein, auf feuchte, von Moos bewachsene Mauern, auf genau sich abzeichnende Sohlenabdrücke im Lehmboden, von Frauenschuhen, von Männerschuhen. In einer Ecke leere Plastikflaschen, eine blaue Butangasflasche, aufgerissene Suppenbeutel, leere Konservenbüchsen, Erbsen und Ravioli. Er hob eine der Büchsen auf und roch daran, sie war noch frisch. Auf ihrem Boden, zwischen drei Karotten, lag eine Tube. Er nahm sie heraus. Sie hatte Mastix enthalten.
Zitat:



[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2016-02-24)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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