Der neue Roman „Zuckersand“ des Berliner Schriftstellers Jochen Schmidt hat mich von der ersten Seite an verzaubert und mich mitgenommen und gleichzeitig zurückgeführt in eine Zeit, als es mir so ähnlich ging wie dem Ich-Erzähler des Buches. Ich vermute, dessen Erzählungen von seinem Alltag mit seinem zweijährigen Sohn Karl haben viel zu tun mit persönlichen Erfahrungen des Autors, denn so zärtlich und liebevoll kann nur einer ein kleines Kind beschreiben und seine Wahrnehmung der Welt, der es selbst beim Wachsen begleiten durfte.
Während der Autor das Leben des kleinen Karl und seine vielfältigen Versuche, die Welt zu entdecken, zu benennen und zu verstehen, beschreibt, gehen seine Erinnerungen zurück in seine eigene Kindheit. Er lebt quasi in dem Spagat, sowohl Karls Kindheitsglück zu gewährleisten und zu schützen vor allem, was es bedrohen könnte, und gleichzeitig nicht nur die Erinnerungen an seine Kindheit zu bewahren, sondern auch zahllose Gegenstände zu konservieren, an denen er hängt, die er regelrecht sammelt zum Leidwesen seiner Partnerin Klara.
Karls Vater und seine Mutter haben eine immer noch selten vorkommende Rollenverteilung. Der Vater ist wohl seit kurz nach seiner Geburt zu Hause, kümmert sich um Kind und Haushalt, während die Mutter vollzeit arbeiten geht. Per SMS hält er sie tagsüber in Wort und Bild über Karls Entwicklung, über seine Aussprüche und Entdeckungen auf dem Laufenden und bemüht sich tapfer, nicht nur ein guter Vater, sondern auch ein guter Hausmann und Partner zu sein. Und er macht Erfahrungen, ist mit Gefühlen konfrontiert, die ich selbst kenne und die zu dem Wertvollsten zählen, auf das ich in meinem bisherigen Leben zurückblicken kann. Wie konnte ich ihm zustimmen, wie viele hundert mal habe ich das selbst gefühlt, wenn er an einer Stelle, ein Versteckspiel mit seinem Sohn beschreibend, fassungslos notiert: „Wie sollte ich mit meinen Gefühlen für diesen Jungen leben, ohne davon vollkommen gelähmt zu werden?“
Seinen Sohn dabei bestaunend, wie der die Welt entdeckt, erlebt er sich selbst und seine eigene Geschichte neu. Es ist ein ganz besonderes Geschenk, das uns unsere Kinder machen, wenn sie uns dergestalt mit unserem Allerinnersten konfrontieren. Wir sehen uns in ihnen neu, anders. Die Gemeinschaft mit ihnen hat heilende Wirkung. Sie kitzeln das Wertvollste aus uns heraus: bedingungslose Liebe.
„Zuckersand“ ist ein lustiger, witziger und berührender Roman über das Vatersein. Mich hat er in eine Zeit zurückgeführt vor dreizehn Jahren, als mein eigener Sohn begann zu krabbeln, dann zu sprechen und dann fragend die Welt zu entdecken. Diese ersten Jahre, in denen ich rund um die Uhr mit ihm leben und lernen durfte, sind die schönsten meines Lebens. Eines kann ich dem Ich-Erzähler die Romans vorhersagen: die Gefühle, die Beziehung zu unseren Kindern werden mit ihrem Älterwerden, ihrem Eintritt in den Kindergarten, dann in die Schule und ihrem zunehmenden Selbständigwerden nicht weniger intensiv. Wir müssen nur lernen, sie immer mehr loszulassen.
Kinder sind das größte Geschenk, das das Leben für uns bereithält.
Jochen Schmidt, Zuckersand, C.H. Beck 2017, ISBN 978-3-406-70509-0
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2017-03-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.