Jenseits der unzutreffenden Schnelldeutungsversuche, die sich auf Titulierungen wie "Generation Facebook" einigen, ist das, was sich in im letzten Jahr in den arabischen Ländern ereignet hat, ein sehr komplexes und vielschichtiges Phänomen. Neben der vor allem für alle, sowohl die Betroffenen wie die Beobachtenden, völlig unerwarteten und plötzlichen Entwicklung, liegen die Ursachen in den verschiedenen Ländern in sehr differenzierten Problemlagen. Umso mehr ist es sicherlich eine gute Idee gewesen, verschiedene Beobachter und Kenner dieser Länder mit ihrem Expertenwissen zusammenzuholen und aus ihrer Sicht das vertraute Land mit seiner gesellschaftlichen, sozialen und politischen Lage in einer Momentaufnahme zu beleuchten. Frank Nordhausen und Thomas Schmid als Herausgeber ist es in vielerlei Hinsicht gelungen, die richtigen Leute zu einem Beitrag aufzufordern und sie haben sich bis auf eine kurze Einlassung verkniffen, die große Welterklärung daraus abzuleiten.
In insgesamt 11 Aufsätzen werden nicht nur die Ereignisse geschildert, die zu dem geführt haben, was mangels eines besseren Begriffes momentan die arabische Revolution genannt wird. Und selbst das ist wiederum irreführend, weil nach Tunesien, Ägypten und momentan vielleicht noch Libyen immer noch die alten Systeme die lokale Macht beschreiben bzw. die alten Autokraten die Keule der Macht schwingen lassen. Selbst bei den genannten Referenzländern wird deutlich, dass die Ausgangslage in Tunesien eine andere als in Ägypten war und beide sich signifikant von Libyen unterscheiden.
Ja, in vielen Ländern der arabischen Welt geht und ging es um die Chancenlosigkeit einer akademischen Jugend und die Korruption autokratischer Eliten. Aber in Libyen spielen die unterschiedlichen Stämme eine nicht zu unterschätzende Rolle, in Algerien ist es eine wohlhabende Staatsbürokratie, die am Ende ihrer Subventionslogik steht, in Syrien ein Herrscher, der vom Volk bis vor kurzem getragen wurde und dem sein eigener Apparat aus den Händen glitt, im Libanon, der ruhig zu sein scheint, glimmt schon das Pulver, weil dort involvierte Mächte wie Syrien und Jordanien aus der Balance zu geraten scheinen, im Jemen ist es der Wankelmut eines Despoten und im scheinbar unberührten Saudi-Arabien, das seinen Despotismus unter dem Schirm des Westens bisher retten konnte, hat längst eine Erosion eingesetzt, deren Ende noch niemand abschätzen kann.
Die vorliegende Aufsatzsammlung ist in sehr guter Weise dazu geeignet, einen Überblick über die komplexen Zusammenhänge zu geben, die in den unterschiedlichen Ländern der arabischen Welt zu revolutionären Bewegungen geführt haben. Alle Beiträge machen deutlich, wie unterschiedlich die einzelnen Länder sind und dass jeder, der politisch mit ihnen verwoben ist, gut daran tut, sich nicht von halb garen Pauschalurteilen leiten zu lassen. Letzteres übrigens ein Phänomen, unter dem die europäische Politik seit der Entkolonisierung der arabischen Welt heftig gelitten hat und welches unter anderem dazu führte, dass der Westen mehr als konsterniert wirkte, als Tunis, Kairo und Tripolis bebten.
Wer sich der arabischen Revolution nähern will, indem er mehr über die einzelnen Länder erfahren will, ist mit der Lektüre dieses Buches gut beraten.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2011-10-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.