Eines muss man ihm zugestehen: Frank Schirrmacher drückt sich nicht vor den großen und vor allem emotionsbeladenen Themen unserer Zeit. Ob es der Methusalem-Komplott war, als er uns den Spiegel der Überalterung vorhielt, Payback, als er mit dem Zeigefinger auf die schleichende Herrschaft der digitalen Technologien verwies, oder die Fragen, die er aufwarf nach der Zukunft des Kapitalismus und die Anklage des Menschenhandels in Zeiten der Globalisierung, oder der riskante Vergleich zwischen Christentum und Islam, Schirrmacher scheute sich nicht. Der einstige jüngste Herausgeber einer so kapitalen Zeitung wie der Frankfurter Allgemeinen hat sich die Courage bewahrt. Nun kommt die logische Folge nach Payback, Schirrmacher rückt den Denkmodellen des digitalen Kommunikationszeitalters auf die Pelle.
Ego. Das Spiel des Lebens heißt sein neues Buch, das er nicht umsonst beginnt mit einem Foucault-Zitat, in dem es heißt: Wir sollten nicht zu entdecken versuchen, wer wir sind, sondern was wir uns weigern zu sein. Damit ist die emotionale Sphäre des gesamten nachfolgenden Textes beschrieben. Schirrmacher teilt seine Untersuchung in zwei Leitkapitel auf, das erste beschäftigt sich mit der Optimierung des Spiels, das zweite mit der Optimierung des Menschen.
Grundidee Schirrmachers ist die Analyse des immer weiter optimierten Denkmodells über den homo oeconomicus und die Geschichte der Migration von Naturwissenschaften aus der militärischen Forschung in die Zentren des Finanzkapitals. Der Autor beschreibt die bereits in den fünfziger Jahren entwickelte Spieltheorie, die den Strategen des Pentagon diente, um die Szenarien eines Atomkrieges respektive seiner Verhinderung auszutarieren. Idee war es, im Gegenüber die Inkarnation des Schlimmen und Egoistischen anzunehmen, um das eigene Spiel möglichst erfolgreich zu Ende führen zu können. Die Annahme des homo oeconomicus als universalen Prototypen für Programmierung wie Interpretation menschlichen Verhaltens hat in der Tat eine lange Tradition und wurde nach der Auflösung des Ost-West-Konflikts zu einem zentralen Paradigma in der Modellierung des heutigen Kapitalismus. Und tatsächlich ist die dahinter verborgene Denkweise auch mitverantwortlich für die Exzesse der Börse bei ihrem unverantwortlichen Hasard.
Das Kapitel über die Optimierung dieses Spiels in Ego umfasst 200 Seiten. Trotz zutreffender Beobachtung teilweise skandalöser Simplifizierung des menschlichen Modells wirken die vielen Beispiele, mit denen Schirrmacher seine These variiert und zu untermauern sucht, redundant und ermüdend. Das Gleiche passiert dann noch bei dem zweiten, immerhin noch achtzig Seiten umfassenden Kapitel über die Optimierung des Menschen. Trotz immer wieder wichtiger Beobachtungen und erhellender Enthüllungen wird man den Eindruck nicht los, es mit einem manischen Verfechter dieser Thesen zu tun zu haben, vielleicht sogar mit einem Missionar.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Frank Schirrmacher hat Recht und Mut, wenn er auf die verhängnisvolle Simplifizierung des Menschenbildes hinweist, mit dem die Physiker des Nuklearschlages ihre Verbrechen kaschieren wollten und wie die Vertreter dieser Branche, die mittlerweile in die Schaltzentralen des Finanzkapitalismus migriert sind, ihre modernen Raub- und Vernichtungszüge begründen. Das argumentative Maß ist allerdings bei dem Versuch, das schäbige Paradigma zu entkleiden, gehörig verloren gegangen. Nach dreißig Seiten hat man die durchaus vorhandene Komplexität der Botschaft begriffen. Die weitere Lektüre ist ermüdend. Irgendwie ein Kunststück, bei der Brisanz der Botschaft und der Erkenntnis aus der Beobachtung!
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2013-02-18)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.