Legendär ist das Foto, das die sowjetische Fahne am brennenden Reichstag zeigt, weniger bekannt aber, dass es keine Russen waren und dieses Geheimnis von Stalin persönlich verboten wurde ausgeplaudert zu werden. Dabei war Stalin selbst kein Russe, aber die Nationalpolitik des riesigen Nationalitätenstaates Sowjet verlangte ein einheitliches Narrativ und so wurde die Fahne auf dem Reichstag 1945 von drei Russen gehisst. Natürlich war das Foto von Jewgeni Chaldej gestellt, aber das ist eine andere Geschichte hinter der Geschichte. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind Fotografien des Jahres des totalen Untergangs und der ultimativen Befreiung wieder in vielen Illustrierten und Zeitschriften zu finden und die vorliegende Publikation des Schirmer Mosel Verlag zeigt sie in „1945 – Ikonen eines Jahres“ alle.
70 Jahre Befreiung
Das Geleitwort von Prof. Norbert Frei, Friedrich-Schiller-Universität Jena, zu diesen 108 Fotografien – einige davon in Farbe – spricht zuerst von der Ablehnung eines Schuldeingeständnisses der Deutschen, denn bei Ende des Krieges waren alle Kommunisten oder hatten einen Juden versteckt und vor allem immer schon auf die Amerikaner gewartet. „Wir hatten nichts gewusst“ war der Refrain jener Tage, den die Deutschen anstimmten, auch und gerade bei der Befreiung der Konzentrationslager. Die Überlebenden wussten es besser: alles das konnte nur geschehen, weil alle daran mitgearbeitet hatten und davon überzeugt waren, einer Superrasse anzugehören, die über jeden moralischen Makel erhaben sei. „I never dreamed that such cruelty, bestiality and savagery could really exist in this world! It was horrible“, soll General Eisenhower entsetzt gerufen haben und schon erkannt haben, dass dies eines Tages alles nur als Propaganda abgetan werden würde.
Die Stunde Null
Die vielbeschworene Stunde Null bezieht sich eigentlich auf die Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, denn das Deutsche Reich hatte eigentlich gar nicht kapituliert. Das „Ende der Zivilisation“ sollte der Beginn eines neuen Wohlstands werden und Auswirkungen auch auf die Siegermächte haben, etwa wenn man bedenkt, dass wesentliche Impulse für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung von schwarzen GIs kam, die im Krieg gedient hatten und nun ihrerseits ihre Rechte in der Heimat einforderten, die ihnen bisher verwehrt worden waren, weiß Norbert Frei. Denazifizierung, Demilitarisierung, Demokratisierung und Dezentralisierung sollten von nun an das Besatzungsleben in Deutschland dominieren. Aber auch „Kultur auf Trümmern“ sollte die fehlenden Kalorien zumindest geistig ersetzen. Das Foto von Ingrid Bergmann in einer halben Badewanne unterstreiche das mehr als Lee Millers inszeniertes Bad in Hitlers Wanne (beide Fotos im Band), so Professor Norbert Frei.
Weitere Fotos zeigen die Öffnung der NS-Konzentrationslager, die Bombardierung deutscher
Städte, Hitlers Selbstmord und die bedingungslose Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 8. Mai, die Flüchtlingsströme aus dem Osten, die Konferenzen der Siegermächte in Jalta und Potsdam, der Trinity Test in Los Alamos und die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, das Ende des Kriegs im Pazifik und der Beginn der Nürnberger Prozesse. Fotografische Meilensteine, die von den bedeutendsten Bildreportern und Photographen der Welt festgehalten wurden, allen voran Margaret Bourke-White, Henri Cartier-Bresson, Robert Capa, Jewgeni Chaldej, Alfred Eisenstaedt, Lee Miller, Georgi Petrussow, George Rodger und August Sander sowie viele mehr.
1945 – Ikonen eines Jahres
Schirmer Mosel Verlag
Mit einem Text von Norbert Frei
108 Photographien von 43 Photographen
Zusammengestellt von Lothar Schirmer
216 Seiten
ISBN 978-3-8296-0715-5
€ 34.–, € (A) 35.–, CHF 39.10
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-05-13)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.