„Paris war tödlich zu jeder Jahreszeit.“ Oft würden sich Menschen selbst Rollen geben, um überhaupt das Leben leben zu können, das sie als erstrebenswert erachten, zitiert der ehemalige Wall Street Broker und Theaterregisseur Andreas Schimmelbusch Rainer Werner Fassbinder im Vortext zu vorliegender Sammlung von sieben Kurzgeschichten, die zwischen Paris, New York und Berlin, Fiktion und Realität spielen. Und auch in der Titelgeschichte „Habe nichts mehr außer mir“ geht es genau darum, dass sich zwei Menschen eine Liebe zumuten, die sie sich nicht zutrauen. Charlotte hat Felix nämlich alles „versaut“, so Felix, der Schauspieler, der ähnlich wie Belmondo in „A bout de souffle“ feststellt, dass sie eigentlich feige ist, obwohl letztendlich er dann springt.
Liebe ohne Aussicht auf Erfolg
In „Frau mit Waffe“ erzählt Schimmelbusch von Gudrun und Andreas, die für die Stadtguerilla arbeiten, dann aber mit Hilfe einer begabten versteckten Ermittlerin, Elisabeth, beide auffliegen. „Außer Atem war sie jetzt“, schreibt Schimmelbusch über die beiden, denn Andreas hatte Elisabeth auf der anderen Straßenseite schon längst wieder nach oben gelotst. In „Der Ranke Brite“ wiederum geht es eigentlich gar nicht um den becircenden Frauenversteher, dessen Bewegungen „äußerst harmonisch aufeinander abgestimmt“ schienen. Vielmehr geht es um eine stilprägende Nacht im New Yorker Big Apple, den Schimmelbusch scherzhaft „Apfel“ nennt. „Meine heiseren martinisierten Gedanken zählten nicht“, aber dann versteht der Protagonist den Apfel auf einmal im Schlaf und phantasiert über den verstorbenen Beatnik-Helden Burroughs, der in einem Keller in der Nähe der Bowery lebt. „Ich war, wie man so schön sagt, ganz bei mir, angekommen, im Apfel auf einmal eine feste Größe, spielte in Topform.“ Daisy beschließt, sich in ihn zu verlieben, den Erzähler, aber sie fühlt es nicht, sondenr hat es einfach beschlossen. „Man fing an den eigenen Sinnen zu zweifeln an“, denn er kann es ihr einfach nicht ausreden und landet mit ihr auf seinem Zimmer.
Hals über Kopf
Auch in einer anderen Kurzgeschichte gibt es eine weitere Referenz an die Populärkultur. In „Öschätzchen“ geht es um einen Außerirdischen, der vom Himmel fiel, aber natürlich ist er ein Mensch wie du und ich, er fühlt sich nur so. „Wenn schon verlieben, dann Hals über Kopf, dachte er, und wenn schon Hals über Kopf, dann stets mit einer guten, immer spannenden, sofort gefühlsgroßen Geschichte.“ Der Protagonist glaubt genausowenig wie der eigentliche Erzähler, der Autor, diesen ganz großen Gefühlen, denn allzu oft beruhen sie nur auf einem vorübergehenden Hormonschub. Liebe ist bei Schimmelbusch zumeist ein Irrtum, eine Verirrung, dann, wenn ein Individuum auf Abwege kommt und glaubt, der andere könne ihn retten: „Im Zuge des Übergangs in eine neue Phase seiner Existenz wollte Oschätzchen abends nicht mehr allein die leeren Wände anstarren und alles mit sich selbst ausmachen.“ Liebe ist oft nur eine Ausrede, wenn man es mit sich alleine nicht mehr aushält.
Andreas Schimmelbusch, der den Spielfilm „Willkommen im Club“ drehte, arbeitet derzeit an dem Spielfilm „Dachschaden“ und seinem ersten Roman, worauf man sich jetzt schon freuen kann, denn der lakonische Humor seiner in „Habe nichts mehr außer mir“ vorgelegten Kurzgeschichten ist sehr sympathisch und macht Lust auf mehr.
Andreas Schimmelbusch
Habe nichts mehr außer mir
Storys
dtv Hardcover
ISBN: 978-3423281324
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2017-10-26)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.