Mit „Überm Rauschen“, das 2009 erschien und auf der Shortlist für den Deutschen Buchkreis stand, hat der in der Eifel lebenden Schriftsteller Norbert Scheuer seine Leser zum ersten Mal in die leise und verborgene Welt eines Eifeldorfes namens Kall entführt und über seine Bewohner, ihre Beziehungen, ihre Geschichte und ihre Sehnsüchte geschrieben.
Mit „Peehs Liebe“ und „Die Sprache der Vögel“ folgte ein weiterer Roman über Kall, ein Buch, das einen treffen kann dorthin, wo man selbst klein und verletzlich, unverstanden und belacht, schwach und unscheinbar ist. Ein Buch, das mit einer faszinierende Sprache von der ersten Seite an Poesie in die Seele des Lesers zaubert, von der er lange zehrt. Und es ist Ausdruck einer Haltung, die Norbert Scheuer an einer Stelle des Buches so ausdrückt: „Vielleicht hat das Leben nur den Sinn, dass man am Ende jemandem eine Geschichte erzählt.“
Der in „Die Sprache der Vögel“, seinem dritten Dorfroman in Afghanistan kämpfende und dort schwer verletzte Vogelforscher Paul Arimond ist im vorliegenden Band genauso nach Kall zurückgekehrt, wie der ehemalige Betriebselektriker des Zementwerkes Lünebach. Er will ein Raumschiff bauen und bis ans Ende des Universums fliegen.
Der Erzählbogen reicht von der Rückkehr Pauls 2006 bis zum Jahr 2014 und beschreibt eine stille Liebes- und Alltagsgeschichte. Im Hintergrund geht es immer um eine Welt verschollener Dinge und Geheimnisse. Eine Gruppe von alten Männer, die er „die Grauköpfe“ nennt, trifft sich jeden Tag im Cafe und beobachten das Dorfgeschehen und geben ihre eigenwilligen Kommentare dazu ab. Besonders kritisch und stellenweise auch schadenfreudig kommentieren sie die sehr schleppenden Versuche, durch die Erweiterung des Stausees ein Ferienpark zu errichten und Touristen nach Kall zu locken. Nicht die einzige Veränderung ist das allerdings, die im Dorf vor sich geht. Norbert Scheuer erzählt vom Leben unterschiedlichster Menschen, die Debatten um den Stausee sind sozusagen das Zentrum, um das er sie alle anordnet. Er erzählt von ihnen mit leisen Tönen, unspektakulär beschreibend und mit einer wunderschönen poetischen Sprache, die mich bei den früheren Büchern schon in den Bann gezogen hat.
Der Roman besteht aus vielen kleinen, meist nur drei Seiten umfassenden Geschichten, ein „Reigen aus unendlich vielen vergessenen Geschichten", wie Scheuer in einer Danksagung schreibt. „Vielleicht kann man sagen, das unser Leben auch nur ein Reigen, aus unendlich vielen vergessenen Geschichten ist.“
Vielleicht deshalb lösen Scheuers Geschichten und seine Sprache beim begeisterten Rezensenten eine Art Wärme aus, die ihm eine ganz besondere Wertschätzung für die sonst unsichtbaren und vergessenen Aspekte seines eigenen Lebens und des Lebens insgesamt nahebringt.
Norbert Scheuer, Am Grund des Universums, C.H. Beck 2017, ISBN 978-3-406-71179-4
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2017-11-08)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.