Das „Schwarzbuch des weißen Öls“, das Roberto Saviano nach langjähriger Rechercher zusammengetragen hat, ist voller grausamer Details. Auf den ersten drei Seiten zählt Saviano erstmal alle auf, die die Droge benutzen und es kommt wirklich die ganze Menschheit darin vor, denn diese Droge wird in allen Schichten konsumiert ohne Rücksicht auf Einkommen oder sozialen Status. Schließlich ist das Zeug auch saubillig geworden. Hätte man Anfang 2012 1000 Euro in Apple-Aktien investiert, könnte man heute (2014) 1670 Euro seineigen nennen. Hätte man das Geld in Kokain gesteckt, wären es jetzt 182.000 Euro, rechnet Roberto Saviano die Rendite des weißen Öls vor. Die „antizyklische Wertanlage“ sei die letzte Ressource, die eine ursprüngliche Akkumulation erlaube, da es sie überall gäbe. „Die Welt in der wir heute leben, die Wirtschaft, die unseren Alltag und unsere Entscheidungen bestimmt, ist in weit größerem Maße von den Beschlüssen und Taten Felix Gallardos und Pablo Escobars geprägt als von denen Reagans und Gorbatschows“, schreibt Saviano und er hat es sich zur Aufgabe gemacht, deren Machenschaften aufzudecken und bloßzulegen. Aber er weiß auch selbst, dass er denen, die er eigentlich bekämpfen will, damit nur ein Denkmal setzt: „Die Liste der Greueltaten ließe sich noch lange fortsetzen, aber damit würde man den Mitgliedern des (getiligt)-Kartells nur einen Gefallen tun.“ 2500 Dollar für Gummibänder
„Kokain ist die Achse, um die sich alles dreht. Die Wunde hat nur einen Namen: Kokain.“ Erdöl werde für Motoren geschröpft, Kokain für den Körper. Mit der Wunderdroge laufe alles „wie geschmiert“ und jeder sei zu Höchsleistungen fähig, was in einer leistungsorientierten Gesellschaft ja auch verlangt wird, denn wer da nicht mitmacht, ist ein Aussteiger. Kokain-Konsumenten sind aber Einsteiger, sie wollen Erfolg und sie wollen immer mehr davon, denn sie sind gierig und können nicht genug kriegen. Roberto Saviano überrascht immer wieder mit neuen Details, die so detailliert sind, dass sie auch schwer zu überprüfen sind. So schreibt er etwa im 8. Kapitel seines Buches, dass das (getilgt)-Kartell 2500 Dollar allein für Gummibänder ausgebe, zum Bündeln der Geldscheine. Wie läßt sich so eine Angabe beweisen? Woher will Saviano das wissen? Glaubwürdiger ist da schon, dass Escobar einmal angeboten habe, die gesamten Staatsschulden Kolumbiens zu begleichen. Hier kann man zumindest eine Quelle der Aussage ausmachen, aber die besagt ja noch lange nicht, dass er es wirklich könnte. Eine genaue Rechnung bleibt uns sowohl Escobar als auch Saviano schuldig, obwohl sich dies sicher leichter überprüfen ließe als die Gummibändergeschichte. 7 Jahre Recherche
Sieben Jahre nach seinem Erstlingserfolg „Gomorrha“, in dem er sich mit den Mafiastrukturen seines eigenen Herkunftslandes beschäftigt, stellt der inzwischen im geheimen Exil lebende und unter Bewachung stehende Roberto Saviano eine Studie über Mexiko vor, die ein „Land des entfesselten Wahnsinns“ zeigt. Er trifft sich mit Pushern, Agenten, beschreibt das Leben einer Schönheitskönigin und das Leben von Frauen im „System“. Teilweise schwelgt er selbst etwas im Pathos, aber Genie und Wahnsinn liegen erstens nahe beinander und sind zweitens sehr ansteckend. Eine Reise in die Welt des Verbrechens, die selbst Breaking Bad in den Schatten stellt, sowohl als Fiktion als auch als Realität.
Roberto Saviano
Zero zero zero
Wie Kokain die Welt beherrscht
Aus dem Italienischen von Walter Kögler und Rita Seuß
Carl Hanser Verlag, München 2014
ISBN 9783446244979
Gebunden, 480 Seiten, 24,90 EUR
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-05-08)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.