Unlängst hatte der kanadische Autor und Journalist mit seinem Buch Arrival City Furore gemacht. Dort war es ihm gelungen, ein uraltes Paradigma, mit welchem in den Metropolen der so genannten entwickelten Welt gedacht wurde, zu durchbrechen. Er wies anhand zahlreicher gelungener und präziser Untersuchungen nach, dass die Immigrantion in die Megastädte dieser Welt für Innovation und Assimilationsfähigkeit in den künftigen Mutterländern führt. Er zeigte ebenso auf, unter welchen Umständen, d.h. anhand welcher Politik so etwas gelingt und bei welchen Mechanismen es misslingt. Noch ist die Rezeption hierzulande in einem Frühstadium und schon erscheint ein neues Buch von Saunders, diesmal mit dem Titel Mythos Überfremdung. Eine Abrechnung. Schon auf dem Klappentext wird klar, dass der Blessing Verlag versucht, aus dieser Publikation einen Anti-Sarrazin zu machen, mit ähnlich hohen Auflagen versteht sich.
Dass sich Saunders, der seit Jahren über das Thema Immigration recherchiert, dem Thema des Mythos Überfremdung widmet, ist indessen kein Wunder. Und um es gleich zu sagen, wären da nicht einige Ärgernisse, die einerseits seiner eigenen Argumentationslogik, andererseits der Vermarktungsstrategie des Verlages geschuldet sind, könnte die Wirkung des Buches wesentlich größer sein. So schreckt vieles diejenigen potenziellen Leserinnen und Leser ab, die zwar politisch interessiert und aktiv sind, aber nicht von der Integration und alles was damit zusammenhängt leben.
Um gleich zum ersten Ärgernis zu kommen: Indem der Verlag den Umschlag mit einem Zitat zu Sarrazin belegt und beim Titel auf den Zusatz Eine Abrechnung bestanden hat, ist der rezeptorische Kontext festgelegt und sogleich eine Emotionalität im Spiel, die die Diskussion um das Thema Integration schon lange nicht mehr verträgt. Zweitens: in einem nahezu 60 Seiten umfassenden ersten Kapitel spannt Saunders einen Bogen von den gängigen Vorurteilen über Immigranten und dem norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik. In fast ritualisierter Form wiederholt Saunders die Figur, dass wer sich auf die Mystifikationen um die Einwandererzahlen einlasse, notwendigerweise enden müsse wie Breivik. Das ist penetrant und wirkt wie die Logik von Inquisitoren. Werbestrategie wie diese Art Diskriminierungslogik sind überflüssig, weil danach eigentlich eine Argumentation folgt, die sehr nützlich ist.
Im zweiten Kapitel widmet sich Saunders den Fragestellungen Bevölkerungsentwicklung, Integration und Immigrantenextremismus. Hier glänzt der Autor, weil er sehr rational und unbestechlich mit den meisten Vorurteilen aufräumt. Er zeigt auf, dass in keinem Fall davon ausgegangen werden kann, dass Europa, und schon gar nicht die USA von muslimischen Immigranten überflutet werden können. Das geben weder die absoluten Einwanderungszahlen her noch die Geburtenraten, die sich den neuen Mutterländern mit atemberaubender Geschwindigkeit angleichen. Beim Thema Integration verweist der Autor auf Gesetzmäßigkeiten, nach denen die erste Immigrantengeneration immer erfolgreicher ist als die zweite, und mit der dritten die eigentliche Internalisierung der neuen Kulturstufe vollzogen wird. Und die Seiten, die sich mit dem Extremismus befassen, geben sehr wertvolle Erkenntnisse über die Eigendynamik der Integration, die weit jenseits aller Verschwörungstheorien zu suchen sind.
Das dritte Kapitel ist hingegen eine historische Arbeit über die katholischen Einwanderer in die USA und jüdischen sowohl dorthin als auch nach Europa. In beiden Abhandlungen besticht die Analogie der Metaphern wie Flut und Mikrokosmos (heute Parallelwelt) etc. und nimmt der Reflexion über das Thema die anfangs erzeugte Hitze, was sehr gut tut. In einem ca. 30seitigen Ausklang erwähnt Saunders einige Entwicklungen, die der Kern des Buches sein sollten. Und kurz vor Schluß taucht ein Satz auf, der zumindest in Deutschland das Problem treffender nicht beschreiben könnte: Die Grundlage einer Einwanderergesellschaft sollte immer eine gemeinsame, universell gültige Moral sein.
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[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2013-01-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.