Die gegenwärtige Konzentration von Macht und Vermögen, die Wiederkehr der Ungleichheit auch in Österreich war einer der Beweggründe für den Linzer Wirtschafts- und Sozialhistoriker Roman Sandgruber, in einer großen Arbeit jenen Macht- und Vermögenskonzentrationen nachzugehen, die im Wien des Jahres 1910 zu einer beispiellosen Ein-Promille-Gesellschaft geführt haben.
Er beschreibt zunächst die Kulturgeschichte dieses Reichtums, wie all diese Menschen zu ihrem Geld gekommen sind, wie sie reich wurden, sich reich erbten, wie es ihnen gelang reich zu bleiben und wie ihr Leben und Sterben mitten im Reichtum aussah.
Ein abschließender, die zweite Hälfte des Buches einnehmender Teil dokumentiert in einer Art Ranking alle ermittelbaren Daten der 929 Millionäre.
Obwohl Sandgruber nicht glaubt, dass sich die Geschichte wiederholt, dafür fehle es an der Gewaltbereitschaft und Kriegslüsternheit der 1910 –er Jahre, und er das Europa der Gegenwart mit einer Friedensperspektive sieht, schreibt er:
„Monopolartige Strukturen und unvollkommene Wettbewerbsmärkte sind sehr stark geworden, ähnlich wie vor 100 Jahren. Der Einfluss der Bankmanager und Ratingagenturen ist groß. Das Steuersystem hat riesige Schlupflöcher und belastet vornehmlich die Mittelschicht. Die Zweifel an der Durchsetzungskraft und Lösungskompetenz der Politik und ihrer demokratisch gewählten Exponenten wachsen überall. Die wachsende Instabilität der Regierungen und das sich breit machende Gefühl eines ethischen Niedergangs, ausgedrückt durch zunehmende Korruption, Steuerflucht und gegenseitige Begünstigung einer schmalen Oberschicht, birgt die Gefahr einer Schwächung der Demokratie, der Suche nach alternativen Herrschaftsmodellen und einer neuerlichen Neigung zu diktatorischen Systemen, die wir nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts für überwunden hielten.“
Auf diese historischen Parallelitäten hingewiesen zu haben, ist eines der Verdienste dieses großzügig aufgemachten Buches. Dort wo sich die Gesellschaft zunehmend spaltet in superreich und bettelarm – und das ist in ganz Europa der Fall, nicht nur in Österreich, wo dieses Buch entstand- da kann keine wirkliche Demokratie leben, da wird sie von diesem Skandal unterhöhlt.
Roman Sandgruber, Traumzeit für Millionäre. Die 929 reichsten Wienerinnen und Wiener im Jahr 1910, Styria 2013, ISBN 978-3-222-13405-0
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-10-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.