Johannes Sachslehner - Wien. Biografie einer vielfältigen Stadt
Buchinformation
Das Wien-Werden Wiens von Anfang an neu erzählt. Johannes Sachslehner ist Verlagslektor, Historiker und Autor zahlreicher Bücher u.a. auch zur verborgenen und verdrängten Geschichte Wiens. Gemeinsam mit Robert Bouchal veröffentlichte er im Styria Verlag zuletzt den Band „Lost Places in Wien und Umgebung“. In vorliegendem neu erschienen Werk, das jetzt schon als Standard bezeichnet werden kann, erzählt er die Geschichte der Donaumetropole anhand vieler Illustrationen und Dokumente. Ein Buch, das jederzeit griffbereit, zu einem wertvollen Nachschlagewerk zur Geschichte Wiens werden kann.
Glorios und famos: Wien
"Die Stadt Wien ist gar glorios und aus der Art famos, sie ist in Österreich gelegen, in einer Luft voll Segen, an heiteren Flussesauen, voll von Männern und Frauen." (Aus einem Lied der Wiener Lateinschüler.)Seine Wien-Biografie erzählt vom Werden der Wien-Mythen, aber auch den harten Wien Fakten. Denn Konflikte zeichneten das Werden der Hauptstadt ebenso aus, wie historische Kompromisse. 2000 Jahre Stadtgeschichte mit Fokus auf Alltagsgeschichte und Geschichte „von unten“ hat sich der Autor zum Ziel gesetzt. Denn es geht in seinem Buch nicht nur um die Herrschaften, sondern auch um die Wiener, also den Glanz der Ringstrasse ebenso wie die Tristesse der Vorstadt. Sehen wir uns etwa die Geschichte der "Leopoldstadt" (des 2. Wiener Gemeindebezirkes) im 17. Jahrhundert an, zeigen sich bittere Traditionen. Hier wurden erst die Juden angesiedelt, um sie dann im 17. Jahrhundert wieder von genau dort zu vertreiben. Alle Landjuden wurden auf Beschluss des Geheimem Rates am 25.Juli 1670 ausgewiesen. Das ehemalige "Ghetto" wurde nun von christlichen Wienern in Besitz genommen und zu Ehren der Monarchie nach Leopold benannt. Im 19. Jahrhundert wurde eine Ansiedlung der Juden dann wieder erlaubt und eine neue Gemeinde konstituierte sich, bis sie im 20. Jahrhundert erneut zerstört wurde.
Konflikte und Kompromisse
Neben diesen traurigen Kapiteln der Wiener Geschichte und einer katholischen, antiaufklärerischen Tradition, die sich bis heute in der "Kaiserstadt" hielt, eröffnet Sachslehner aber auch neue Perspektiven auf die Glanzlichter der Wiener Metropole. Mit Prinz Eugens Sieg über die Türken wurde Wien erst zu jener Metropole als die man sie heute noch kennt. Nicht nur Barock und Gegenreformation, sondern auch internationales Parkett für die Adeligen ganz Europas. Spätestens mit der Neuordnung nach den napeoleonischen Befreiungskriegen zweihundert Jahre später etablierte sich Wien als Begegnungsplatz für Ost und West. "Der Kongress tanzt" hieß es 1815, als sich alle Adelshäuser Europas in Wien trafen und sich gegenseitig zum Walzer aufforderten. Aber auch diese Bastion der Reaktion und des Konservatismus konnte die Revolution von 1848 verhindern. Denn auch dafür steht Wien: als "Hort der Revolution" bezeichnet der Autor das Kapitel seines Buches, dass sich der März- und Oktoberrevolution 1848 widmet. Vor genau 174, an den Iden des März 1848 schlossen sich die Studenten der Universität Wien und des Polytechnischen Instituts zur "Akademischen Legion" zusammen. 6000 Mann, die sich an die Spitze der Revolution stellten. Ihre Forderung: eine Konstitution!
Bürgertum vs. Proletariat
Im Bereich des heutigen Museumsquartiers kam es sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei: 35 Tote. Die sog. "Märzgefallenen" sollten später exhumiert und in ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof kommen. Denn sie waren im Kampf für eine Verfassung gefallen. Dass sie scheiterten lag aber vor allem an einer mangelnden Kampffront zwischen Bürgern und Proletariat. Im Gegenteil! Es kam sogar noch schlimmer! "Das Wiener Bürgertum war bereit zum Kampf gegen das Proletariat", schreibt Sachslehner über den blutigen 23. August 1848. Nicht einmal Karl Marx, der Ende August einige Tage in Wien Vorträge hielt, konnte die Gunst der Stunde nach Massaker im Prater für einen Sieg des Proletariats nützen. Dafür gelang es dann in der Wiener Oktoberrevolution den Kaiser nach Olmütz und den Reichstag nach Kremsier (Kromeriz) in Mähren zu vertreiben. Kriegsminister Latour war zuvor von einer aufgebrachten Menge Am Hof gelyncht worden. Dass sich diese Konflikte und Kompromisse bis ins 20. und 21. Jahrhunderte fortsetzten, lässt sich eindrucksvoll anhand von neuen Quellen und Illustrationen in vorliegendem Geschichtswerk nachvollziehen. Weitere Schlagwörter: Stephansdom, Rathaus und Hofburg, Alltagsfreuden und Leiden der Wiener, ihre Vergnügungen, Wünsche und Hoffnungen, aber auch Angst und Verzweiflung.
Johannes Sachslehner
Wien. Biografie einer vielfältigen Stadt
2021, Hardcover mit SU, 496 Seiten, Format: 17 x 24 cm
ISBN 978-3-222-15073-9
Molden Verlag
€ 40,00
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2022-03-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.