„Lo spettacolo nello spettacolo“ nennt es einer der Claqueure, was er und seine „Claque“ bei einer Operndarbietung leisten, nämlich „ein Schauspiel im Schauspiel“. An einer echten „Claque“, die Tradition entstand Anfang des 19. Jahrhunderts in Frankreich, waren tatsächlich viele Leute beteiligt. Etwa der tapageur („Aufsehen“macher): er hatte heftig zu applaudieren, der connaisseur (Kenner): er hatte die Aufgabe, während der Vorstellung positive Bemerkungen fallen zu lassen. Der rieur (Lacher) wiederum sollte die Umsitzenden mit seinem „spontanen“ Gelächter anstecken. Der pleureur (Heuler) wiederum musste während besonders rührender Szenen schluchzen und der chatouilleur (Kitzler) musst sich schon vor Anfang der Vorstellung und in den Pausen positiv über die Darbietungen äußern. Der chauffeur (Heizer) stand tagsüber vor den Ankündigungen und hatten das Stück vor den Umstehenden zu loben. Ein bisseur („Nochmaler“, „Zugabe“-Rufer wiederum rief nach der Vorstellung „Da capo“ und „Zugabe“, in Italien ist auch der Zuspruch „Biss“ üblich, um eine Zugabe zu verlangen. Das Wort Claqueur kommt natürlich aus dem Französischen und bedeutet klatschen (claquer).
Claqueure versus Loggionisti
In „Opernfieber“ geht es nun vor allem um die verschiedenen Vertreter der Claqueure an italienischen Opernhäuser in Verona, Parma, Mailand, Genua und Neapel, denn in Italien ist dieser Beruf „wie jeder andere“ noch lange nicht ausgestorben. Die Claqueure sind zumeist selbst Connaisseure der Opern für die sie angeheuert werden und teilweise sogar im Lande herumreisen, wie der junge Neapolitaner, ein „capo clacque“, der in der Dokumentation vorgestellt wird. Ein Clacqueur wird zwar dafür bezahlt, dass er bei Opernaufführungen Stimmung macht, aber in den meisten Fällen handelt es sich auch selbst um leidenschaftliche Opernliebhaber, auch wenn dies die Loggionisti bestreiten. Die Loggionisti, sind die vom „Loggione“, also vom Dritten Rang, und sie bezeichnen sich selbst als die wahren Kenner der Oper, denn sie würden für ihre Leidenschaft kein Geld nehmen, wie jene vom ersten Rang, die Claqueure. Die Loggionisti, die „Fanatiker des Dritten Rangs“ wie die ehemalige Sängerin Luisa Mandelli, die die Annina an der Seite von Maria Callas in der Titelrolle „La Traviata“ sang, oder andere Vertreter des Opernkulturvereins in Parma, geben ihren letzten Cent für eine Opernaufführung und ohne sie wäre die Oper längst tot, wie sie einstimmig und einmütig versichern. Kritik wird nach den Darbietungen von den interviewten Opernliebhabern zumeist an der Regie geübt, nie an den Sängern selbst, denn die Regisseure würde heute alles verpatzen. Früher hätte es nur eines Dirigenten bedurft, heute würden die Regisseure überall dreinreden und alles verkomplizieren und doch nichts davon verstehen
„Die Ritter des Kronleuchters“
„Una volta dovevo anche io pagare uno dei clacquers, che non fischiasse“, erzählt der weltbekannte Tenor Giuseppe di Stefano und nimmt es mit Humor: wenn er den einen Claqueur nicht bezahlt hätte, wäre er ausgepfiffen worden. Di Stefano starb 2008 und war wohl einer der wichtigsten Tenöre des 20. Jahrhunderts, bekannt wurde er vor allem auch dadurch, dass er oft an der Seite der Callas sang. Nach gescheiterten Comeback-Versuchen zog er sich mit seiner Frau nach Afrika zurück, wo er sich bei einem Überfall in Kenia lebensgefährliche Verletzungen zuzog, von denen er sich leider nie mehr richtig erholte. Aber nicht alle hätten es wohl mit so viel Humor genommen, wie di Stefano, denn viele bezahlten wirklich, um sich größer zu fühlen. Es gibt aber auch eine andere Dimension der „Claque“. Die historische Funktion eines Claqueurs war nämlich auch, die schönste Stelle einer Oper noch einmal hören zu lassen, denn in einer Zeit, in der es nur sehr wenige Tonaufzeichnungen gab, wollte der Zuseher eine schöne Stelle noch einmal hören, dazu gab es die Claqueure, die die Wiederholung wunderschöner Momente bei den Künstlern quasi erklatschten . Das „Unwesen“, das 1820 in Paris entstand, wurde von Monsieur Sauton als eine „Assurance de succès dramatique“ gegen Entgelt angeboten, um eine „Sicherstellung des dramaturgischen Erfolges“ zu garantieren. Denn der Applaus ist ja auch für den Fortgang der Darbietung und die Atmosphäre äußerst wichtig, wie auch alle in der Doku interviewten Claqueure unisono betonen. Im Jargon der Pariser nannte man die Claqueure übrigens auch „Chevaliers de lustre“, Ritter des Kronleuchters , nicht Ritter der Kokosnuss.
Eine exquisite Filmsammlung
Der „Club der 27“ ist nicht etwa eine Vereinigung der größten Wirtschaftsmächte, sondern ein Club der Connaisseure, der sich nach den 27 Werken Giuseppe Verdis benennt und sich auch gegenseitig mit den Namen der Werke ansprechen. Einer heißt also „La Forza del destino“, ein anderer „La Traviata“ oder „Rigoletto“ oder „Trovatore. Katharina Rupp spürt diesen Club der gestandenen Männer, die ihre Mitglieder auf Lebenszeit nominieren und auf den Namen einer Verdi-Oper verpflichten, auf und führt mit ihnen leidenschaftliche Debatten über Mariella Devia und ihre Interpretation der „Violetta“ oder wie man richtig den Taktstock schwingt. Die deutsche Edition www.salzgeber.de verfügt über eine der exquisitesten Filmsammlungen der Welt und bietet diese nicht nur zum Kauf, sondern auch über den Verleih an. Auch diese Filmproduktion über die Welt der Oper, der Tenore und Soprane, Claqueure und Loggionisti befriedigt wieder höchste Ansprüche des guten Geschmacks. Die vorliegende Dokumentation wurde 2005 mit dem Hessischen Filmpreis 2005 als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Sie entstand in Koproduktion mit ZDF/ arte, SF DRS und YLE TEEMA. Interviewt werden unter anderem: Giuseppe di Stefano, Gustav Kuhn, Luisa Mandelli, Giancarlo Soave, Alfredo Cava, u.a.
Buch & Regie:
Katharina Rupp
Opernfieber – Ein leidenschaftlicher Film über wahre Leidenschaft
70 min DVD www.salzgeber.de www.delicatessen.de
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-01-08)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.