In der Verfilmung des Lebenswerkes von Sigmund Freud durch John Huston im Jahre 1962 wird der Wiener Kosmopolit in die Trias Kopernikus-Darwin-Freud eingereiht und man sieht in der Rolle des Protagonisten einen jungen bärtigen Montgomery Clift, der den Erfinder der Psychoanalyse sympathisch als Wahrheitssucher verkörpert. Freud hatte eigentlich auf der Hypnosemethode des französischen Nervenarztes Jean-Martin Charcot aufgebaut und diese dann zur „freien Assoziation ohne Zensur“ weiterentwickelt. Grundlage der beiden waren Forschungen zur Hysterie und ein einziger Wiener Arzt unterstützte Freuds Ansichten und Forschungen, Dr. Joseph Breuer. Jean-Paul Sartre hatte das Drehbuch zum Film von Huston geschrieben, als er jedoch auf seiner sieben Stunden-Fassung beharrte, wurde es wieder verworfen. Auch mit Hauptdarsteller Clift soll es Probleme gegeben haben, dieser starb bekanntlich ein paar Jahre nach den Dreharbeiten an Alkohol und Drogenproblemen mit nur 45 Jahren. Die Befassung mit Freud hat wohl seit jeher Konflikte ausgelöst, da er als einer der umstrittensten Denker des 20. Jahrhunderts gilt.
Polymorph Pervers
Jacques Lacan ist es zu verdanken, dass das Werk Sigmund Freuds auch nach dem Krieg in Frankreich lebendig blieb. Mit seiner Neuinterpretation Freuds als ersten Linguisten, als „Vorläufer der modernen Sprachwissenschaft“, wie August Ruhs schreibt, gelang ihm eine neue Lesart des verkannten Denkers und Psychoanalytikers und trug wesentlich zur Modernisierung seines Werkes bei. Lacan verwendet psychoanalytische Konzeptionen für seine eigenen Theorieentwicklung, wie etwa die Kategorien des Imaginären und die Wirkung des Bildes auf die menschliche Ich-Identität. Sein bekanntestes wissenschaftliches Theorem ist das Spiegelstadium, indem die Subjektgenese und dessen Beziehung zur narzisstischen Aggressivität seinen Ursprung habe. Weiter baut Lacan auf der Genese des Subjekts und dem Unbewussten als Effekt der Sprache und den Begriffen Bedürfnis, Anspruch, Begehren seine eigenen Theorieansätze auf. Der Poststrukturalist Lacan beschäftigte sich auch mit der Philosophie Heideggers, der Linguistik de Saussures und mit den Beziehungen sozialer System nach Levi-Strauss.
Bedeutung der Psychoanalyse für das tägliche Leben
Die Bedeutung Freuds wird auch von August Ruhs nicht weniger geschmälert als von Huston. Als „Relativitätstheorie der Humanwissenschaften“ bezeichnet Ruhs Freuds Lehre und erklärt in seinem gut zu lesenden Überblickswerk die wichtigsten Begriffe der Psychonalayse und deren Weiterentwicklung durch Lacan. Im Kapitel „Perversion“ wird etwa der Unterschiede zwischen Inversion und Paraphilie geklärt und auch der Mensch an sich als polymorph pervers bezeichnet. Das „Normale“ ist also eher die Ausnahmen, beginnt auch der Laie bald zu verstehen. Über den Partialcharakter der Triebe heißt es etwa: „Objekte der Lust und des Genießens sind daher immer auch von Objekten des Begehrens und der Liebe zu unterscheiden. Somit haftet psychoanalytisch betrachtet, jedem sexuellen Verhalten etwas grundsätzlich Perverses an.“ Dass die Psychoanalyse nicht nur einen theoretischen, sondern auch einen sehr praktischen Nutzen hat, beweist Ruhs in seinem letzten Kapitel über das Verstehen von Bildern resp. Gemälden, Psychoanalyse, Kino und Film zeigt Ähnliches, nämlich dass jedem Mythos zumindest eine schöne Geschichte innewohnt.
August Ruhs
Lacan
Eine Einführung in die strukturale Psychoanalyse
12,5 x 20,5 cm
Broschur
ca. 200 Seiten
€ 14,80
ISBN 978-3-85409-554-5
Löcker Verlag
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-02-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.