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Jaroslav Rudis - Die Stille in Prag
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Rudis, Jaroslav:
Die Stille in Prag

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(Bücher frei Haus)

Jaroslov Rudis, selbst Jahrgang 1972, zählt zu den Jungautoren Tschechiens, die gerne auch von sich selbst erzählen. So auch in seinem neuesten Werk, das stark an ein Drehbuch erinnert, erzählt es doch parallel die Geschichte von Wayne, Hana, Vanda, Petr, Vladimir, deren Schicksale durch einen fulminanten Showdown am Ende des Romans verknüpft werden. Es ist aber nicht nur ein Roman über die Jugend für die Jugend, sondern natürlich auch vor allem ein Roman über die Musik, den Lärm und die Stille. Ein Roman über die Liebe und über Trennungen, aber auch ein Roman über den Krieg in den Städten der Peripherie. Oder den vermeintlichen Frieden in den Städten des Zentrums. Die Fortsetzung des Krieges in den Beziehungen zwischen Mann und Frau, Jungs und Mädchen.

Friede für die Zentren, Krieg für die „Ränder“
Wayne, hat wie so viele andere Amerikaner in Prag auch, in der Umbruchphase nach der Revolution einen Job in der Moldaustadt gefunden. Gar keinen schlechten sogar, auch seine tschechische Freundin lässt sich sehen, aber leider will sie sich nach einem Wochenende in Lissabon von ihm trennen, gerade als es ihm schlecht wegen seinem Bruder geht, den er auf CNN nach einem Terroranschlag auf einer Bahre gesehen haben will. Es gibt immer wieder Referenzen an die vermeintliche Friedlichkeit Prags und die Parallelwelt in Bagdad, auf der einen Seite hat die Freiheit gesiegt, auf der anderen muss sie erst mühsam erkämpft werden. Und dafür opfern sich amerikanische Soldaten. Auch Wayne’s Bruder Mike, dessen „Job“ sich Wayne wohl ungefähr so vorstellt: „Die Psychologen wissen, dass Musik den Menschen aus seiner Einsamkeit befreit. Mit Musik ist man nie allein. Man kann sich hinter Musik verstecke. Mit Musik in den Ohren rennt man nicht über eine reale Straße in Bagdad und feuert auf lebendige Menschen, sondern eliminiert nur Figuren in einem Computerspiel. Musik heißt Flucht. Rennen. Angriff.“ Wayne nennt die Welt der Peripherie die Welt an den Rändern und er ist froh darüber, im Zentrum leben zu können, mit seinem Job und seiner tschechischen Freudin.

Die Prager Nostalgiker
„Wenn sie (die Touristen, JW) wüssten wie leblos und ausgelaugt die Stadt geworden ist. Ein riesiges, schmuddeliges, muffig riechendes Museum. En Ort, den man für ein verlängertes Wochenende ansteuert, an dem man sich volllaufen lassen kann und den Rausch dann auf dem Rückflug ausschläft. Mehr ist in dieser Stadt nicht drin.“, so denkt Hana an ihre Stadt Prag in Lissabon, wo sie Pessoa liest und die einzige Aufregung die sie nach Rückkehr in ihrer Stadt noch sieht, ist, Schluss mit Wayne zu machen. Nostalgie scheint auch das bestimmende Gefühl der anderen Bewohner dieser Stadt geworden zu sein. Die Tschechen würden mit viel größerer Lust von ihren Niederlagen als von ihren Siegen berichten, läßt Rudis seinen Protagonisten Wayne sagen. Daher würden sie auch alle so gerne in Museen gehen und sich an ihrer ruhmreichen Vergangenheit weiden. Diese „Nostalgie mit einer Prise Gefühlsduselei und einer Menge sadomasochistischer Gelüste“ sei aber schwer zu ertragen. „Mit dieser Sehnsucht nach Vergangenheit zieht Mitteleuropa alle Romantiker der Welt an. (…)Nostalgie, schön und betörend wie jeder Fluss der Erinnerung, ansonsten aber träge, steif und ohne Zukunft.“ Dann schon lieber zurück in das 1500 Seelen Dorf Delaware in Delaware.

Teenage Angst
Auch Petr ist ein Nostalgiker, ein Prager. Er lernt die Punkerin Vanda kennen und verbringt mit ihr eine Nacht, die ihn so sehr an seine Ex-Freundin Klara erinnert. Die ihn stehen hat lassen. Und auch Vanda wurden stehen gelassen. Sie konnte sogar dabei zusehen, denn ihr Freund Harry besorgte es auf der Toilette einer anderen. Aber sie ist Punkerin und nimmt’s locker, Hauptsache ihre Songtexte werden dadurch besser. Und bald stürmt sie auf die Bühne, wo sie ihre ganz eigene Teenage Angst – so heißt der wohl einzige Song der Band Placebo, die in Rudis Roman nicht zitiert wird, obwohl er der Passendste wäre – rausschreit. Am Ende des Romans lässt aber auch der Autor selbst die Sau raus, nicht nur seine Protagonisten. Wenn ein gewisser Egon, der „beste“ Freund Petrs, über Paradiesäpfelchen philosophiert und von der großen endgültigen Liebe, den schrecklichen Umbrüchen im Privatleben eines jeden und einer jeden und Nullbockstimmung auf neue Leute kennen lernen, weil das Zeitvergeudung ist, dann ertappt sich auch der Leser bald selbst bei dieser Teenage Angst. Aber sind eigentlich nur die Dinge von Bedeutung, die ewig wären? Die Sehnsucht nach der Stille des Meeresgrundes, die der Ozeanologe Jacques Piccard 1960 auf 10.916 Meter unter dem Meeresgrund entdeckte, lässt sich auch im Prag des 21. Jahrhunderts leicht erfüllen. Durch das Lesen dieses Romans.

Jaroslav Rudis
Die Stille in Prag. Roman.
Luchterhand

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-07-10)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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