Vielleicht ist Philip Roth ja eines der prominentesten Opfer der political correctness. Denn seit Jahren hält die literarische Welt bei den Stockholmer Beratungen zur Vergabe des Literaturnobelpreises den Atem an, um es vielleicht doch noch zu erleben, dass sein Name genannt wird. Bisher war das Hoffen vergeblich, denn statt den Namen dieses aus der amerikanischen Gegenwartsliteratur nicht mehr Wegzudenkenden zu hören, sind es andere, kaum beachtete oder wahrgenommene Autoren aus den Randlagen der alphabetisierten Zivilisation, denen diese Ehrung zuteil wird.
Philip Roth steht vor allem für die Auseinandersetzung einer amerikanischen Generation von Juden, die in den Staaten geboren wurden und einen Konflikt mit ihren immigrierten Vätern auszustehen hatten. Wie niemand sonst stellt er den Zerriss zwischen der alten und neuen Welt dar. In seinem 1979, also vor mehr als dreißig Jahren erschienenen Roman Der Ghost Writer ist der in mehreren Werken auftauchende, fiktive Schriftsteller Nathan Zuckerman in der Rolle des Beobachters wie der des Kombattanten. Zum einen besucht er den von ihm verehrten und bereits erfolgreichen Schriftsteller E. I. Lonoff, der selbstverständlich stellvertretend für die europäische jüdische Immigration steht, zum anderen reminisziert er während dieses Besuches den Dauerkonflikt mit seinem Vater, der ihm vorwirft, der jüdischen Gemeinde mit seinen entblößenden Short Stories zu schaden.
Desillusionierend auf den jungen Autor wirkt die Lebensferne und Steifheit des verehrten Lonoff, der von eiserner Disziplin getrieben und mit wenig Kreativität seine literarischen Werke produziert, der in eingefahrenen, stählernen Bahnen lebt und nicht einmal den Mumm hat, sich mit einer jungen Studentin einzulassen, die den großen Meister ebenso bewundert. Zuckerman hingegen projiziert in das anwesende Mädchen die Existenz der Anne Frank, mit der er sich vermählt, um die in seiner Phantasie stattfindende Auseinandersetzung mit dem Vater zu retten, wenn er sich als Brautstein einen Epitaph des alten jüdischen Europas wählt.
Das Skurrile der langsam und bedächtig fortschreitenden Handlung ist das Innovative, zu dem Roth in starkem Maße beigetragen hat. Übernahme psycho-analytischer Grundmuster in die Textur des Romans vor der Folie dieses jüdischen Vater-Sohn-Konfliktes war zur Zeit der Entstehung des Romans richtungsweisend. Es verstörte die Leserschaft anders als heute, und allein das, die doppelte Verstörung, ist Grund genug, sich das Werk noch einmal vorzunehmen.
In Ghost Writer blitzt bereits das auf, was Philip Roth in vielen nachfolgenden Romanen bis zur Meisterschaft getrieben hat. Es geht um Generations- und Kulturkonflikte, um Triebe und Leidenschaft und die Ramponierung aller Beteiligten, bei denen auch der sublimierteste Intellekt nicht vor der Verletzung schützt.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2011-05-21)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.