Das Wesen großer Literatur, so kann man getrost behaupten, besteht darin, die universalen Topoi der menschlichen Existenz aus der konkreten Erfahrung einer historischen Epoche zu aktualisieren. Der jüdisch-amerikanische Schriftsteller Philip Roth gehört zweifelsohne zu den wenigen lebenden Schriftstellern, denen dieses immer wieder gelingt. Mit Werken wie Der menschliche Makel, Operation Shylock, Ein amerikanisches Idyll, Sabbaths Theater oder Das sterbendeTier ist ihm dieses immer wieder gelungen. Roth gilt als einer der produktivsten unter den amerikanischen Schriftstellern und in der letzten Dekade erscheint fast jährlich ein neuer Roman, manchmal zu dem Preis nicht stetiger Güte. Mit dem 2008 erschienen Roman Empörung (Indignation) jedoch konnte Roth erneut zeigen, zu welchen Qualitäten er fähig ist.
Der Roman spielt in den USA des Jahres 1951, dem zweiten Jahr des Korea-Krieges. Hauptfigur ist der Sohn eines in Newark lebenden jüdischen Koscher-Metzgers, Marcus Messner. Die Familie lebt in einem armen, aber intakten Viertel auf der anderen Hudsonseite der Metropole New York, neben der jüdischen gibt es noch eine große italienische Gemeinde. Marcus Messner besucht zunächst ein kleineres, bescheidenes College in Newark, wo er and der Seite der Kinder aus den Nachbarfamilien durchaus gute Noten nach Hause bringt. Er hilft seinen Eltern in der Metzgerei und lernt früh, dass man nicht immer mögen muss, was man tut, dass aber gemacht werden muss, was zu machen ist. Ab einem bestimmten Zeitpunkt entwickelt der Vater jedoch eine Art fürsorglicher Paranoia, er steigert sich in die Befürchtung, sein Sohn käme auf die schiefe Bahn und er beginnt ihn zu verfolgen.
Marcus wächst dieser Zustand ins Unerträgliche und er entschließt sich, um der Verfolgung und Reglementierung zu entkommen, in das fern gelegene Winesburg College in Ohio zu gehen. Dort reüssiert er weiter in seinen Fächern, kollidiert aber zunehmend mit den Mittelstandskonventionen. Er tritt weder einer Verbindung bei, und anstatt sich im Kommers zu suhlen jobbt er in einer Bar, um das nötige Geld zu verdienen. Er macht seine ersten sexuellen Erfahrungen mit einem Mädchen, das bereits einen Entzug hinter sich hat und grenzt sich damit noch mehr aus. In nahezu historisch anmutenden Dialogen mit dem Rektor der Schule, in dem dieser ihm das Oktroi der Konvention plausibel machen will und Marcus Messner auf sein einfaches, bürgerliches amerikanisches Freiheitsrecht jenseits der Religion und Ideologie pocht, wird die die Unauflösbarkeit dieser Freiheiten mit den tatsächlichen Lebensbedingungen des jüdischen Underdogs deutlich. Marcus scheitert letztendlich an der Weigerung, am obligatorischen Gottesdienst teilzunehmen und kommt daher nicht zu dem Recht, auf einer Universität zu studieren, sondern er landet auf einem Schlachtfeld im fernen Korea, wo er knapp zwanzigjährig sein von Hoffnungen und Leistungen geprägtes Leben verliert.
Neben einer nahezu typisch Rothschen Variante des Vater-Sohn-Konfliktes brilliert der Roman mit dem Universalthema, inwieweit das Allgemeine Recht dem Underdog zugänglich ist, zu welchem Preis er es erwirbt, und welchen preis er zahlt, wenn er sich die Forderung nach einem Sonderverhalten verbittet.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2010-05-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.