Es gibt im Leben vieler Menschen einen Zeitpunkt, in dem er beim Blick in den Spiegel von einem Tag auf den anderen mit Erschrecken sieht, dass er alt geworden ist. Andere spüren es bei gewohnten körperlichen Tätigkeiten, oder nach einem nach langen Vorsätzen durchgeführten Arztbesuch, der beängstigende Werte zu Tage brachte.
Mit dieser Ernüchterung einher geht nicht selten eine Veränderung des Blickes auf die eigenen Eltern. Denn die Zeit um das 50. Lebensjahr (Anuschka Roshani ist 1966 geboren) fällt sehr oft mit der Zeit zusammen, in der die bisher zwar alten, aber immer noch auf ihre Weise jung und lebendig wahrgenommenen Eltern, plötzlich krank und gebrechlich werden. Und auf einmal stellt sich dem Sohn oder der Tochter die Frage, wer man eigentlich ist. Wie ist man der Mensch geworden, der heute ist? Was haben die eigenen Eltern damit zu tun? Haben sie mich geprägt oder bin ich meine eigenen Wege gegangen?
An was erinnere ich mich besonders gern, und welche Erfahrungen schmerzen noch heute? Auch Anushka Roshani stellt sich diese Fragen und geht dafür erzählend in die Geschichte ihrer Eltern zurück. Eine schillernde Geschichte, besonders eines exzentrischen Vaters, von dem sie zu Beginn ihrer Recherchen noch nicht einmal sein Geburtsdatum, weiß.
Als der Vater in hohem Alter eine schwierige Diagnose erhält, und dann schlussendlich bricht, beginnt sie zunächst tastend ihre Suche nach ihren eigenen Ursprüngen und entdeckt überraschende Komplizenschaften.
Sensibel, sehr persönlich, stellenweise schonungslos aber immer mit großer Empathie erzählt Roshani das Leben ihrer Eltern, das Leben in einer bestimmten Zeit und Stimmung.
Die Eltern und die Tochter sind in diesem Buch nicht nur die Protagonisten einer außergewöhnlichen Familiengeschichte. Die nich nur eine Zeitreise in die Vergangenheit ist, sondern auch die Gegenwart einer Frau mittleren Alters in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Anuschka Roshani, Komplizen. Erinnerungen an meine noch lebenden Eltern, Kein & Aber 2018, ISBN 978-3-0369-5782-1
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2018-07-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.