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Rezensionen


 
Bernd Roling - Wie man ein Einhorn fängt.
Buchinformation

Als fester Bestandteil unserer kollektiven Vorstellungswelt und unserer Archetypen entzieht sich das Einhorn durch sein wandelbares Wesen - dennoch - immer wieder einer genaueren Definition. Gehörnte Chimäre, anmutiges Fabelwesen oder Ikone der Pride-Bewegung: immer wieder taucht es auf verschwindet gleichsam wieder – ungesehen!

Das Einhorn in Zeit und Raum

Bernd Roling und Julia Weitbrecht haben sich auf die Suche nach dem unvergänglichen Zauber der Einhörner gemacht und es in Geschichte und Dichtung, aber auch Gemälden, die teilweise farbig reproduziert werden, gesucht und - gefunden! Wenn auch ohne Zügel, denn zähmen lässt sich so ein Einhorn nie. Oder doch? Von der Antike, in der die Existenz des Einhorns noch selbstverständlich war, über das Mittelalter, in der das Einhorn zum christlichen Symbol der Unschuld verklärt wurde, führen uns die Autoren bis in die Frühe Neuzeit, in der man die vermeintlichen Heilkräfte des Tiers entdeckte. Das Einhorn stand durch mehrere Jahrhunderte hindurch für Sehnsucht nach Sinngebung, spirituelle Heilkraft und den
Wunsch nach Sinngebung und Erfüllung. Seine Rezeptionsgeschichte geht auf den bei jungen Mädchen vielverbreiteten Pferdetopos zurück und reicht bis J.K. Rowling' Harry Potter. Der amerikanische Künstler Gilbert Baker präsentierte es am Gay Freedom Day 1978 erstmals einer breiteren Öffentlichkeit und so bekam es ab den 1980ern auch noch einen politischen Aspekt als Maskottchen der Pride Bewegung verpasst. Der süße Duft der Jungfrau lockt bei Johannes Tzetzes das Einhorn an. Die Betörung durch den Geruchssinn trifft auch Richard de Fournival an dem sich die Liebe rächt. "Denn ich war der Liebe gegenüber der hochmütigste Mann und dachte, ich sei noch nie einer Frau begegnet, die ich mit ganzer Leidenschaft hätte begehren können, so wie ich es von anderen gehört hatte. Und doch hätte ich gerne eine solche Frau geliebt. Aber die Liebe die eine findige Jägerin ist, setzte mir eine Jungfrau auf den Weg, wie ihn nur die Liebe zufügen kann, nämlich die Verzweiflung ohne jede Hoffnung und Gnade." Aufgrund ihres Geruches gibt er seinen Willen auf, nur um dem ihren zu gehorchen. Eine Spurensuche in die Kulturgeschichte dieses vielschichtigen Wundertiers und seiner Adoranten.

Jagdkunst als Disziplinierung: ars venandi und amandi

Derweil behaupteten böse Zungen, es sei nur ein Mischwesen aus Unicornu marinem, einem Narwal, und einem
Landeinhorn, dem Nashorn. Der römische Geschichtsschreiber Plinius verwechselte es tatsächlich mit Nashörnern. Auch andere Quellen aus dem 10. Jahrhundert sprechen von einem "Horntier", dem karkand, einem Hybrid aus Pferd und Elefant, so der arabische Geschichtsforscher Al-Damiri. Das Christentum machte es wenig später aufgrund seiner Einhörnigkeit als religiöses Symbol für den einen Gott des Christentums zur Ikone. Seine Zähmbarkeit und Jungfräulichkeit gehe auf Maria und die Inkarnation Christi zurück, so der Physilogus, eine frühchristliche Naturlehre in griechischer Sprache. Mittels einer Allegorese, dem Lesen zwischen den Zeilen, könnte man nämlich glauben machen, dass nur eine Jungfrau ein Einhorn zähmen könne. Der Verweis auf Selbstopfer und Passion Christi findet sich auch im Gemälde Harley Bestiary (12./13. Jahrhundert), das heute im British Museum hängt. Das sog. monokeros wird als Einhorn zum Christussymbol und somit zum Sinnbild der Rettung aller Tiere, die anders als die sündigen Menschen, auf der Arche geborgen werden. Diese Verknüpfung fand im Mittelalter statt, als die Adelswelt Jagd als Möglichkeit für junge Männer sah, sich unter ihren Altersgenossen hervorzutun. Eine Art Gleichsetzung der Jagd mit der Liebe war zumindest naheliegend: Im Rahmen des Nachdenkens über die höfische Liebe, die den Liebenden bessern und in gewisser Weise zivilisieren sollte, diente das Erlernen der Jagdkunst. Die ars venandi diente letztlich der Einübung in die ars amandi, der Liebeskunst.

Eine wechselvolle und unterhaltsam erzählte Rezeptionsgeschichte, die in einem regelrechten Einhorn-Boom gipfelte, zeigt vor allem eines: Es steckt viel von uns Menschen und unserer Sehnsucht nach Sinn und Erfüllung in diesem sagenhaften Wesen. Ein Buch für wahre Einhorn-Fans. Wenn eine Jungfrau vortäuscht eine zu sein, dann wird sie übrigens vom Horn des Einhorns durchbohrt und bestraft. Aber wie sagte schon William Shakespeare, Der Sturm, III., 3.: "Nun will ich glauben, dass es Einhörner gibt".

Bernd Roling/Julia Weitbrecht
Wie man ein Einhorn fängt.
Eine fantastische Kulturgeschichte
Mit zahlreichen farbigen Abbildungen
2024, Paperback, 176 Seiten,
ISBN: 9783365008850
Harper Collins Verlag
16,00 €

[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2025-01-03)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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