Marilynne Robinson, geboren 1943, gilt seit langem als eine der besten Schriftstellerinnen Amerikas. Die Protagonisten ihrer Bücher zeichnen sich durchweg aus durch eine Fähigkeit zur Empathie, die selten ist, und wie nicht von dieser Welt.
Marilynne Robinsons erst sehr spät in einer deutschen Übersetzung bei S. Fischer erschienene Romantrilogie um den erfundenen Ort Gilead zählt zu dem besten, was die zeitgenössische amerikanische Literatur zu bieten hat. Sie hat, ein Buch nach dem anderen, mit Gilead und seinen Menschen einen Kosmos geschaffen, der seine Leser mit jedem Buch mehr gefangen nimmt. In den USA erschienen die drei Romane in der Reihenfolge „Gilead“, „Zuhause“ und „Lila“.
In Deutschland hat S. Fischer 2018 mit dem letzten Roman begonnen, vielleicht weil die berührende Geschichte der ehemaligen Wanderarbeiterin Lila, die während des Koreakriegs nach Gilead kommt und den kongregationalistischen Prediger John Ames heiratet, dem schon über siebzigjährigen Mann einen Sohn schenkt und mit ihm herrliche und tiefsinnige theologische Debatten führt, auf dem deutschen Markt zunächst mehr Erfolg versprach.
Tatsächlich schrieb neben anderen lobenden Rezension die Autorin Zsuzsa Bank schon bald nach Erscheinen des Buches begeistert:
„Etwas zutiefst Tröstliches liegt in dem Wissen, das zwei sich nicht nur finden können – sondern auch schützen und halten. Diese Annäherung wird so zurückgenommen, so tastend behutsam erzählt, dass man sich ein wenig schämt, wenn man Lila und John weiter beobachtet, während sie reden, sich öffnen und bekennen.“
Ähnlich wie auch in „Lila“ ging es in dem zweiten bei S. Fischer erschienenen Band „Gilead“ um viel Theologie und Glauben. Immer wieder ist bei Marilynne Robinson die Rede davon und der Bedeutung des Glaubens dabei, die Ungeheuerlichkeit des Lebens zu begreifen, was allerdings immer nur in der Rückschau funktioniert. Beide Romane atmen eine tiefe Glaubensgewissheit, die tröstet.
Tröstend und sehr bewegend ist auch der hier vorliegende Band „Zuhause“, der wie eine Fortsetzung zu „Gilead“ gelesen werden kann.
In diesem Buch kehrt die Tochter des presbyterianischen Predigers Robert Boughton im Alter von vierzig Jahren mit relativ leeren Händen und alleinstehend nach Gilead zurück, um dort ihren mittlerweile verwitweten sterbenden Vater zu pflegen und ihm beizustehen.
Kurze Zeit später kehrt auch ihr Bruder Jack nach 20 Jahren in der Fremde heim. Jack ist ein Mann, der schon früh bei allen angeeckt ist, viel trinkt und mit nichts richtig Erfolg hat. Dennoch war und ist er den Liebling seines Vaters, der ihn deshalb aber zeitlebens nicht weniger streng angefasst hat.
Geschickt mit dem biblischen Thema des verlorenen Sohnes spielend, erzählt Robinson davon, wie sich Glory und Jack langsam annähern und wie auch der Vater versucht, trotz all seiner Enttäuschung wieder einen Draht zu seinem Sohn zu finden. Doch was ist, wenn der verloren Sohn sich selbst für verloren hält, weil er eben schon immer so ist wie er ist, schlecht und verdorben. Die calvinistische Lehre von der Prädestination, mit der als Kind eines Predigers aufgewachsen ist, hat hier wohl volle Wirkung gezeigt. Alle Liebe seiner Schwester und alle Vergebungsbereitschaft des Vaters scheinen vergeblich. Und auch dem Vater Robert Boughton scheint so etwas wie ein theologischer Lebensirrtum zu dämmern, als er in einem der zahlreichen theologischen Debatten mit seinem Freund John Ames, die man mit großer Lust in allen drei Romanen verfolgen kann sagt:
„Ja, ich habe lange gegrübelt, wie sich das Rätsel der Prädestination mit dem Rätsel der Erlösung in Einklang bringen lässt.“
Wahrscheinlich gar nicht, insinuiert Robinson, die nicht müde wird, in der Liebe und der Vergebung jenes Tor zu sehen, durch das die Menschen gehen müssen, um ihre alte Lasten abzulegen und neu mit ihrem Leben zu beginnen.
Robinsons Romane haben über ihre hohe literarische Qualität hinaus wie nur wenige Bücher eine große visionäre Kraft. Und das hängt mit der Zeitlosigkeit oder Ewigkeit des Glaubens an einen Schöpfer zusammen, aus dem ihre Protagonisten ihr ganzes Leben ihre Kraft und ihren Trost gezogen haben und von dem auch die Autorin tief durchdrungen scheint.
Nicht ohne Grund endet dieser ursprünglich zweite Teil der Trilogie mit den Worten „Groß sind die Wunder des Herrn.“ In „Lila“ wird diese Gnade noch einmal aus der Sicht von John Ames und seiner jungen Frau erzählt.
Welche Reihenfolge man wählt bei der Lektüre dieser wunderbaren Bücher, man wird den Eindruck haben, den die jeder religiösen Überzeugung unverdächtige Carolin Emcke so beschrieben hat:
„Was für ein Geschenk. Marilynne Robinsons Texte üben eine magische Wirkung aus.
Marilynne Robinson, Zuhause, S. Fischer 2018, ISBN 978-3-10-002458-9
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2019-01-09)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.