Bethan Roberts erzählt in ihren zutiefst verstörenden Romanen meist von einfachen Menschen und ihren Wünschen und Träumen, vor allem aber von ihrer Angst, das zu verlieren, was sie haben.
Genau wie in „Stille Wasser“, obwohl sie auch dort das Ende ganz am Anfang erzählt, wird auch ihr neuer Roman „Das Kind der Anderen“ zu einem wahren Psychothriller, spannend bis zur letzten Seite mit einem Psychogramm einer ganz normalen Familie in einem ganz normalen Leben, das, ohne eine entsprechende Sprache dafür zu finden, von Anfang bis zum bitteren Ende erfüllt ist von einer tiefen und weitreichenden Sehnsucht nach eben diesem Leben.
In ihrem neuen Buch erzählt sie von der jungen, aber einsamen Maggie Wichelo. Sie arbeitet als Nanny bei ihrer Kusine Nula, die nachdem ihr Sohn Samuel zwei Jahre alt geworden ist, wieder arbeiten geht und die Betreuung ihrer Kusine anvertraut hat. Nula und ihr Mann hätten keine bessere Betreuung für ihr Kind finden können.
Doch heute, und mit dieser Entscheidung beginnt das Buch, wird Maggie Samuel entführen. Sie wird ihn mitnehmen in ein altes Bootshaus auf der walisischen Insel Anglesey. Dort, so erzählt der Roman in vielen Rückblicken, ist es, wo Maggies lange Geschichte beginnt. Eine Geschichte, in der auch ihre Kusine Nula eine wichtige Rolle spielt, eine dramatische Geschichte, die erzählt von Liebe und Verlust, dem verzweifelten Versuch einer jungen Frau ihr in tausend Stücke zerbrochenes Leben wieder zusammenzuführen.
Bethan Roberts verwebt im Wechsel Vergangenheit und Gegenwart zu einer spannenden Handlung. Langsam wird deutlich, warum Maggie den kleinen Samuel entführt und welchen Plan sie eigentlich verfolgt.
Aber sie beschreibt nicht nur Maggies Erleben, sondern sie versetzt sich auch einfühlsam in die Gefühlswelt einer jungen Mutter, die unter postnatalen Depressionen leidet und ihr Kind manchmal als eine Belastung erlebt.
In einem wie ein Thriller geschriebenen Drama entfaltet sie die Psychodynamik einer Familie mit ihren unterdrückten Gefühlen, Eifersucht, Verletzungen, Unterlassungen und Taten.
Man kann kaum aufhören mit dem Lesen, denn immer wieder neue Wendungen, die Bethan Roberts dem Leser offenbart, erzählen von einer Vergangenheit, in der all die gegenwärtigen Konflikte ihren Ursprung haben.
Leider wird Bethan Roberts, deren Romane bei Kunstmann in München erscheinen, von der Kritik und von den Lesern noch nicht so wahrgenommen, wie es ihrer literarischen Leistung gebühren würde.
Bethan Roberts, Das Kind der anderen, Kunstmann 2016, ISBN 978-3-95614-121-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2016-12-07)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.