Vorliegende Ausgabe des „bateau ivre“ wäre wohl genau nach dem Geschmack des leider schon verstorbenen Paul Celan gewesen. Nicht nur die Aufmachung als Schulheft und das grau-schwarze Design hätten wohl genau seinen Geschmack getroffen, der die erste Ausgabe beim Insel-Verlag, 1958, aufgrund seiner bunten „blau-gelb-schwarz marmorierten“ Gestaltung bemängelt hatte. Die Ausgabe von 2008 beinhaltet aber über das 24-strophige Gedicht von Rimbaud hinaus, nicht nur sein Original, also jene Version, die auch Paul Celans Übersetzung zugrundelag, sondern auch noch weitere Dokumente, Abbildungen und ein Nachwort von Joachim Seng und ist ausserdem in einem wunderschönen grau-schwarz-designten Umschlag, der wohl auch von Celan vorgezogen worden wäre. Eine echte Liebhaberausgabe also, die besonders Sammler erfreuen wird, aber auch jeden Neuling auf das Werk von Rimbaud neugierig machen könnte. „Bibliophil“ ist hier wohl die treffendste Beschreibung!
Im eigentlichen Mittelpunkt vorliegender Publikation steht aber ganz die Übersetzung, die von Paul Celan selbst – ganz uneitel – als besonders gelungen bezeichnet wurde: „Alles ist gewahrt, Wort, Gestimmtheit, Gestalt“. Er hatte die Übersetzung in nur drei Tagen fertig und beschrieb sie als ein „merkwürdiges schreiben, aus einer mir noch heute nicht recht verständlichen Nötigung heraus“. Interessant ist dabei natürlich auch, dass Celans eigene Gedichte ähnlich nautische Topos enthalten wie das trunkene Schiff von Rimbaud und vielleicht auch deswegen tatsächlich als besonders gelungen bezeichnet werden kann. „Schiffe, Boote, Kähne, Flöße, Panzerkreuzer, Himmelwracks und Treckschuten“ seien genau das Vokabular der Celanschen Bildsprache, schreibt Joachim Seng im Nachwort. Das Schiff sei bei Celan eine Metapher für Tod, aber lote dabei stets auch die Grenzen zwischen Untergang und Rettung aus. Schließlich könnte eine Arche auch Leben retten, wie die Bibel zeigt, auch wenn das lateinische Wort „arca“ eigentlich Sarg bedeute.
Die sprachliche Analyse von Joachim Seng ist genauso spannend zu lesen, wie das Gedicht selbst, er versteht es, den Text in seiner ganzen Dimension darzustellen. Der deutsche Text sei viel gleichmäßiger und stärker untergliedert als der französische und Celan habe Wortgruppen aufgelöst und bediene sich der parataktischen Reihung. „Die besondere Leistung Celans besteht jedoch darin, dass er Rimbauds Metaphern und Vergleich verdichtet und auf diese Weise eine Konzentration der Bildlichkeit erreicht. Er transformiert Vergleiche in eine metaphorische Struktur.“ Ein Vergleich der Versionen des folgenden Satzes: „Plus leger qu`on bouchon j`ai danse sur les flots“ heisst es bei Rimbaud. Celan macht daraus: „Ein leichter Korken, tanzt ich dahin auf steiler Welle.“ Arthur Rimbaud hätte darauf wohl geantwortet: „L’impression n’est pas conforme à l’originale”, aber sei’ s drum. Sicher ist jedenfalls, dass die Übersetzung von Paul Celan als eine Über-Setzung bezeichnet werden kann, dass es ihm gelungen ist, den Text aus dem Franzöischen in eine adäquate deutsche Form zu transformieren. Er hat es geschafft, eine eigenständige Version des Gedichtes zu präsentieren, die auch ganz ohne das Original bestehen könnte. Natürlich ist das dann nicht dasselbe Gedicht. Aber sehr stimmig und authentisch.
Insel Taschenbuch www.suhrkamp.de
102 Seiten
ISBN 978-3-458-19300-5
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2008-11-19)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.