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Arthur Rimbaud - Die Zukunft der Dichtung
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Rimbaud, Arthur:
Die Zukunft der Dichtung

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(Bücher frei Haus)

„Der Dichter macht sich sehend durch eine lange immense und überlegte Zügellosigkeit aller Sinne. Alle Formen der Liebe, des Leidens, des Wahns; er forscht selbst, er schöpft in sich alle Gifte aus, um nur die Quintessenzen zu bewahren“, schreibt der kaum 17-jährige Arthur Rimbaud in einem seiner als „Seher“-Briefe bekannt gewordenen Apologien der Literatur. Am Höhepunkt der Commune de Paris (28. März 1871 bis zur „semaine sanglante Ende Mai 1871, bei der 20.000 starben) will dieser junge Dichter „(…) ein Arbeiter sein: Diese Idee hält mich zurück, wenn die wahnsinnige Wut mich hin zur Schlacht um Paris drängt – wo doch so viele Arbeiter gerade sterben, während ich Ihnen schreibe! Jetzt arbeiten? Niemals, niemals; ich streike.“, so im Brief aus Charleville an Georges Izambard, datiert mit 13. Mai. „Es ist falsch zu sagen: ich denke: man müsste sage Man denkt mich.“ und darauf folgt dann auch der wohl berühmteste Satz Rimbauds: „Ich ist ein anderer.“
Die beiden Briefe, die mit insgesamt 101 Fußnoten versehen sind, Erklärungen die Anspielungen und Vorgeschichten, auf die sich Rimbaud bezieht. So ist sein bekanntester Satz eigentlich nur eine Abwandlung eines Ausspruches eines Kalauers des aus England zurückkehrenden Voltaires gegenüber Ludwig XV. „Qu‘ avez-vous fait là-bas?“ „A penser, sire“ – „Quoi? Les cheveaux?“. Victor Hugo hatte dieses Wortspiel in „L’homme qui rit“ verwendet und Rimbaud von ihm wieder neu aufgegriffen. Ursus komt im Text von Hugo bald auf sich selbst zu sprechen und sagt: „Quant à moi, je ratiocine et je médicamente. Je pense et je panse.“ „On me pense?“ oder „On me panse?“ Man denkt mich oder man verbindet mich? Indem Rimbaud in seinem Brief auf dieses Wortspiel hindeutet, erinnere er nicht nur daran, das mit dieser Auffassung von der Krankheit der Roman einmal mehr einer strikten Trennung zwischen der im Innern verborgenen, gleichsam unantastbaren und über alle Widernisse erhabenen Seele einerseits und dem sie beherbergenden Körper andererseits auf das Entschiedenste widerspricht“, so Tim Trzaskalik in seinem Essay „Auf den zweiten Blick“ in vorliegender Publikation. Rimbaud will damit Hugo vorwerfen, ein bloßer Sanitäter des Volkes zu sein, die Wunden, die man ihm zufüge, zwar zu verbinden, den Schmerz wohl zu lindern, aber darüber zugleich die „eigentlichen Ursachen im Dunkeln zu belassen“.
Ich ist also ein anderer. Zunächst wegen einer gesellschaftlich verursachten Entfremdung. Aber der Satz betont auch die Umwandlung des Izambard`schen Prinzips (der Lehrer an den sich Rimbaud mit seinem Brief wendet), dass das Ich sich als anderer konstituiert, das heißt in der Differenz zu einem Kollektiv, von dem es sich absetzt. Das Ich das Rimbaud meint verweigert sich aber jeder Form der Kollektivität. Und genau in dieser Verweigerung konstituiert es sich überhaupt erst als Subjekt, das dann „an der Erschaffung eines Subjektes der Kommune arbeiten kann“, so Tim Trzaskalik. Die Beziehung zwischen Revolution und Dichtung beruhe auf einem Dreisatz: Das Ich erzeugt die Revolte, die dann zu einem geschichtlichen Ereignis wird, von dem der Autor betroffen ist und zu dem er Stellung zu beziehen hat. Tim Trzaskalik: „Je partikularer das Ich ist, je mehr es auf seine Besonderheit und auf seine Absonderung bedacht ist, desto mehr wird sein Handeln von allgemeinem Interesse sein.“ „Die Zukunft der Dichtung. Rimbauds Seher-Briefe“, aus dem Französischen mit einem Nachwort von Tim Trzaskalik und mit einem Vorwort von Philippe Beck ist beim Matthes&Seitz Verlage erschienen, der sich vor allem der französischen Literatur verschrieben hat.
Neben Texten von Rimbaud wird etwa auch die Werkausgabe in deutscher Sprache von diesem wunderbaren Verlag herausgegeben, der nicht nur durch die Inhalte, sondern auch die Gestaltung seiner Bücher hervorsticht. Die Editionen von Antonin Artaud, Georges Bataille, Michel Leiris oder D.A.F. de Sade bildeten von Anfang an das geistige Fundament, heißt es auch auf der Verlagsseite. Seit 2004 erscheinen in der Reihe „Batterien“ auch Werke von Georges Bataille auch wichtige Titel von Roland Barthes, Jean Baudrillard, Leo Schwestow, Cristina Campo u.v.a. Autoren erschienen. Hinzu kommen Bücher von Marina Zwetajewa, John Keats, Fleur Jaeggy, Theodor Lessing, Rahel Varnhagen von Ense, Amiel oder der unfreiwillig komischen Friederike Kempner. Sie prägten das Programm des Verlages genauso wie Werke von Jean Giono, Gabriele D'Annunzio, Oswald Wiener und Botho Strauss. „Individualität, Freiheit, Revolte waren stets die Grundsäulen des Verlags“.
Arthur Rimbaud
Die Zukunft der Dichtung
Rimbauds Seher-Briefe
A. d. Franz. und mit e. Nachw. v. Tim Trzaskalik, mit e. Vorw. v. Philippe Beck
152 Seiten, Klappenbroschur
ISBN 978-3-88221-545-8
€ 14,80 / CHF 21,90 Die Zukunft der Dichtung

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-02-06)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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