Der studierte Philosoph und Soziologe Urs Richle nimmt sich in seinem neuen Roman eines alten, immer wieder bewegenden Themas menschlicher Technik Träume an. Etwas lebendiges, fast eigenständig Denkendes, mechanisch zu schaffen. Eine Art neuer Schöpfung, die lebendige, denkende Maschine, in den Raum zu stellen.
Den tragischen, weil unfreiwillige und einem schmerzlichen Liebesdrama ausgesetzte Schöpfer der Maschine gestaltet Richle in Person des schweizerischen Uhrmachergenies Jean-Louis Sovary. Von Kindheit an entfaltet Richle die Lebensgeschichte des fiktiven mechanischen Genies, der bereits zu Kindertagen sich fast meditativ in Uhrwerke zu versetzen vermag und damit seine Passion bereits in frühen Jahren gefunden hat.
Als erwachsener Mann eilt sein Ruf als genialer Mechaniker ihm voran, leider hat sein Weg ihn in die Kriminalität geführt, Sovary fälscht die berühmtesten und bekanntesten Uhrwerke der damaligen Zeit in perfekter Art und Weise. Grund genug für den Orgelbauer Blaise Montallier, Sovary zu entführen, ihn gefangen zu halten und einen Schachautomaten zu bauen, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.
Um nun eine wirklich denkende Maschine zu erschaffen, braucht es ein Gehirn. Ana de la Tour, ein junges Mädchen mit außerordentlicher Schachbegabung wird ihr junges Leben unfreiwillig verlieren, um ihr Gehirn mit der Maschine zu verbinden.
Doch noch immer fehlt es der Maschine. An etwas Eigentlichem, zu Grunde liegendem. In einer schmerzlichen, inneren Entwicklung erkennt Sovary, dass ein mitfühlendes Herz es ist, was den Menschen ausmacht. Ein Herz, das letztlich er selber in sich entdecken wird, als es eigentlich bereits zu spät ist.
Der Leser rollt diesen Lebensfaden und diese dramatische Geschichte quasi von hinten auf. Vorweg stellt Richle den Blick aus der Gegenwart eines Uhren- und Mechanismen Museums, aus dem heraus der damals entwickelte Schachapparat entwendet wird. So erfährt der Leser bereits zu Beginn, dass die Maschine selbst eine Grabmal Anas ist, aus ihren Gebeinen erbaut und verfolgt von dort an mit Spannung und von kraftvoller, assoziativer Sprache begleitet die unglaubliche Geschichte der Vermessenheit und letztendlichen Tragödie der beteiligten Menschen.
Urs Richle versteht es durch seinen ausgefeilten sprachlichen Stil und versehen mit großem Wortschatz, seine Geschichte und seine handelnden Figuren lebendig, detailreich und vielen Schattierungen versehen ins Leben zu holen. Allein schon die erste Begegnung mit Sovary auf der Höhe des Kirchenturms im Anblick und Erleben der Kirchenglocken nimmt den Leser tief mit hinein in das Erleben und die Empfindungswelt des späteren Uhrmachers. Mit Leidschaft und Liebe zum Detail gestaltet Richle auch im weiteren Verlauf seine Betrachtung menschlichen Strebens, menschlicher Verfehlungen und Scheiterns und der Tragödie, die Seite für Seite langsam mehr in den Raum tritt.
Ein schön zu lesendes Buch mit vielen Schattierungen und Ebenen, die in hervorragender sprachlicher Form vor Augen geführt werden und ein deutliches Plädoyer für die Akzeptanz menschlicher Grenzen angesichts technischer Wundergläubigkeit.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2010-09-13)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.