Nachdem die Herrschaft Mussolinis in Italien zusammengebrochen war, besetzten deutsche Truppen im September 1943 die Hauptstadt Rom. Für die römischen Juden, die bisher relativ sicher gelebt hatten begann nun ein schrecklicher, bis zur Befreiung im Juni 1944 dauernder „langer Winter‹“. In diesen Monaten versuchten die deutschen Besatzer ihre Politik der „Endlösung“ auch im bis dahin für die Juden sicheren Rom durchzusetzen. Etwa 2000-3000 römische Juden vielen dieser Politik zum Opfer. Riccardi erzählt in einem Interview:
"Die Juden und viele Römer konnten sich das nicht vorstellen, aber am Tagesanbruch des 16. Oktober kam es zu dieser schrecklichen Situation: Die Deutschen der SS gingen mit einer Liste, die sie von der Kultusgemeinde geholt hatten, von Haus zu Haus und suchten die Juden. Einige flüchteten, einige versteckten sich, viele wurden gefangen genommen. In diesem Moment fing der 'längste Winter' an."
Er zeigt in seinem Buch jedoch, dass etwa 10.000 römische Juden überlebten, hauptsächlich deshalb, weil sie in Klöstern, Pfarreien und Liegenschaften des Vatikanstaats sicheren Unterschlupf und Asyl fanden.
Dies war wohl auch einer mutigen Haltung von Papst Pius XII. zu verdanken, den der Dramatiker Rolf Hochhuth in seinem Stück „Der Stellvertreter 1960 schwer beschuldigte. Das Buch von Riccardi kann man als so etwas wie eine kleine Rehabilitation dieses Papstes verstehen, denn ohne die päpstliche Genehmigung wäre das Asyl für tausende von Juden auf dem Gelände und in Gebäuden des Vatikanstaates nicht denkbar gewesen.
Riccardi erzählt mit vielen neuen Informationen und historischen Einschätzungen die Geschichte der kurialen Politik unter der deutschen Besatzung, vor allem aber die bewegende Geschichte der verfolgten Juden, ihrer kirchlichen Helfer und einer heute fast vergessenen, mutigen Rettungsaktion. Er erzählt meisterhaft ein historisches Ereignis mit dem Duktus eines Journalisten.
Andrea Riccardi, Der längste Winter. Die vergessene Geschichte der Juden im besetzten Rom, Theiss 2017, ISBN 978-3-8062-3622-4
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2018-05-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.