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Bettina Rheims - Rose, cest Paris
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Rheims, Bettina:
Rose, cest Paris

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(Bücher frei Haus)

„Décrire les passions n`est rien; il suffit de naitre un peu chacal, un peu vautour, un peu panthère („Die Leidenschaften zu beschreiben, ist ein Klacks. Man muss nur ein wenig Schakal, ein wenig als Geier, ein wenig als Panther geboren sein“)“, schrieb Lautréamont in seinen „Poesien“ und diesem Konzept scheint auch Bettina Rheims im Grunde genommen zu huldigen, denn sie zeigt in der vorliegenden Publikationen hauptsächlich Frauen, die leiden. Eine Nackte liegt auf einem Bett vor einer schneebedeckten Dachlandschaft, hingegossen wie ein toter Che Guevara und trägt doch in ihrer Mitte einen Dildo, der steil nach oben ragt. Andere Sujets, die die Fotografin – neben Paris, der Stadt – verwendet, sind nicht nur Gegenstände und Verkleidungen aus der Subkultur des französischen Sado/Maso und Boudoir wie etwa Peitschen und Latexkostüme, sondern auch Schwerter, Wahrsagerinnen, Schistöcke oder Männer in Uniformen mit Schnauzbart, eine Leninbüste zwischen Brüste (auch diese eine surrealistische Hommage) gepresst. Nacktheit inszeniert die Fotografin in einem öffentlichen Park, auf Friedhöfen, in der U-Bahn oder sogar in einer Bibliothek. Im Hintergrund ist immer wieder Sacre Coeur, die Kirche zum Heiligen Herz, zu sehen, die 1875 erbaut wurde, um die Verfassung der III. Republik zu feiern, und an die französischen Opfer des französisch-preußischen Krieges und die „Verbrechen“ der Kommunarden, die 1871 nichts anderes versucht hatten, als ein sozialistisches selbstverwaltetes Paris aufzubauen, zu erinnern. Diese Kirche ist – anders als andere Kirchen der Zeit - nicht Maria, sondern dem Herz Jesu geweiht, vielleicht hat die Fotografin, die mit ihrem „weiblichen Jesus“ bekannt wurde, diesen Hintergrund also mit voller Absicht gewählt. Bettina Rheims` Frauen zeigen freimütig ihre stolzen Körper und possieren in allerlei unmöglichen Verrenkungen. Manchmal sind ihre Fotos auch bloße Zitate von Dali, Rembrandt oder Filmen wie „Belle de Jour“ (legendärer Film mit Catherine Deneuve von Luis Buñuel aus dem Jahr 1967), dem sie mit dem Foto „Bete de Jour“ huldigt.

Comme si j`etais toi confondu dans une seule desire
Auch der Stadtplan von Paris für Autofahrer „Sens Uniques“, in dem alle Einbahnstraßen der Lichtmetropole verzeichnet sind, scheint es der Fotografin als Accesssoire angetan zu haben, denn sie zeigt ihn gleich zweimal zwischen den Brüsten einer künstlichen Blondine. Vielleicht ist die Einbahn auch ein Symbol für die unwahrscheinlichen Hypothesen, die jeweils als Kapitelabgrenzung im Buch angegeben werden. Bettina Rheims erzählt in „Rose, c'est Paris“ nämlich eine Fotogeschichte über das Verschwinden einer von zwei Zwillingsschwestern, eine sehr surreale Erzählung, die in inszenierten S/W Bildern erzählt wird und ein Paris zeigt, das nur mehr schemenhaft an die Stadt des Lichts erinnert, der die Rheims ihre größten Erfolge zu verdanken hat. „Dies ist ein Paris der surrealistischen Visionen, verworrenen Identitäten, künstlerischen Phantome, unbemerkten Manipulation, der Obsession, der Fetische und des brodelnden Begehrens.“, bringt es der Pressetext auf den Punkt. Aber auch Fantomas spielt eine Rolle, die Straßen, Cafés, Cabarets, Museen, leeren Fabriken und Grandhotels von Paris werden gleichermaßen präsentiert wie Mode und Kunstmonografie als metaphysisches Mysterium und Rheims unternimmt gleichsam eine „soziokulturelle Archäologie der französischen Kapitale“. „Rose comme si j`etais toi confondu dans une seule desire“ malt ein streichelweicher Pinsel auf den nackten Körper einer vor Erregung bebenden Frau: Rose, als wäre ich so wie du in einem einzigen Verlangen aufgelöst…

Die „Ville Lumière“ und andere illustre Gäste
Die „große Inszenierung“ wurde übrigens unter Beteiligung zahlloser Berühmtheiten wie Naomi Campbell, Michelle Yeoh, Monica Bellucci, Charlotte Rampling, Valérie Lemercier, Inès Sastre, Anna Mouglalis, Audrey Marnay, Anthony Delon, Rona Hartner, Jean-Pierre Kalfon, Azzedine Alaïa, Louise Bourgoin und Hélèna Noguerra realisiert. Der italienische Playboy schrieb über die Erstausgabe, dass sie „una Parigi noir, surreale e quasi deserta“ (ein schwarzes; surreales quasi verlassenes Paris) zeige, eine „Ville Lumière“, die nicht leuchtet, sondern geheimnisvoll in grau-schwarzen Tönen in eine dunkle Welt des Untergrunds entführt,, auf federbedeckte Betten, verspielte chaise lounges und in düstere Gassen. Dieses Buch sei ein „love letter to the city“ (NYLON Magazine, New York), denn diese Stadt ist ein Mythos, der schon viele Seelen ihren Untergang verdanken.
Die französische Künstlerin Bettina Rheims hat zahllose große Fotoserien geschaffen, die auf der ganzen Welt ausgestellt wurden. Unter ihren Buchveröffentlichungen finden sich Female Trouble (1989), Modern Lovers (1990), Chambre Close (1994), I.N.R.I. (1998), X'Mas (2000), Shanghai (2003), Héroïnes (2007) und The Book of Olga (2008 für TASCHEN). Serge Bramly, der den Film auf der beiliegenden DVD gestaltet hat, ist Künstler, Schriftsteller und Kunstkritiker. Er arbeitete bei anderen künstlerischen und fotografischen Projekten schon mit Bettina Rheims zusammen, zu seinen Sachbüchern zählen Titel wie Leonardo. The Artist and the Man (1995) und Le Premier Principe (Prix Interallié, 2008).

Le manege insidieux des souvenirs
Die dem Buch beigelegte DVD zeigt in mehr als zwei Stunden ein ebensolches Paris, das Serge Bramly, inspiriert von Bettina Rheims Fotos, filmisch umsetzt. Der in S/W gedrehte Film, der eigentlich kein Film ist („Ceci n`est pas un film, ceci n`est pas un livre“), wie Rene Margritte mutwillig paraphrasiert wird, changiert zwischen aufgeregter Event-motion und existentialistischem downtempo. So wird etwa Rose, die abhandengekommene Zwillingsschwester, einerseits gesucht, andererseits als femme n`existe pas aufgelöst und in verschiedenen mysteriösen Tischseancen beschworen. Oder hat doch die „Gang der Rosenzüchterinnen“ Rose entführt? Hypothese nach Hypothese in fantastischen Bildern. Eine besondere Rolle spielt auch die phänomenale Musik und Tonkulisse, die die spärlichen Dialoge (es ist ja kein Film) überlagert. Eindrucksvoll etwa auch der Sound, wenn sich zwei Boxer, eine Hommage an Arthur Cravan, am Gare d`Austerlitz gegenüberstehen und aufeinander einklopfen, während gleichzeitig Züge in den Bahnhof einfahren. In einem davon sitzt wohl Rose, die ein Buch über Fantomas liest, der diesen „Fall“ sicherlich mit französischer Bravour gelöst hätte. Aber manche Fälle sollen gar nicht gelöst werden, sondern einfach nur Verwirrung stiften. So folgt der Betrachter den AkteurInnen auf der Suche nach Rose durch ein unaufgeregtes Paris, das auch in seinen stillsten und dunkelsten Stunden immer noch als „Ville Lumiere“ glänzt und strahlt. Ein eigenes Universum also, in das Bettina Rheims und Serge Bramly den Zuseher da entführen, wo man scheinbar nichts vermutet hätte.

Bettina Rheims, Serge Bramly,
Rose, c'est Paris

Hardcover + DVD (138 Min.),
25.5 x 35.7 cm,
368Seiten
€ 49.99
dreisprachig

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-04-04)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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