Wieso die Autorin ihre oft ganz unverhofft bizarr werdenden Venedig-Räsonnements unter dem Titel "Der Italiener an meiner Seite" versteckt, ist mir etwas unerklärlich. Vielleicht liegt das daran, daß ihr Talent, in einen Text die feine Unbestimmtheit der Ironie zu treffen, ohne anmaßend zu erscheinen oder sonst irgendwie Mißfallen zu erregen, mitunter doch nicht ausreicht. Das erfordert nicht nur lockeres Schreiben, sondern setzt wirklich Attitüde voraus (für Frauenzeitschriften oder ähnliches, wo einige der Texte zuerst erschienen sind, reicht es dann aber doch). Sonst hätte sie vielleicht sich selbst, ihren Partner, die Touristen mit einem Titel wie "Die Venezianer an meiner Seite" zugleich ein- und ausgeschlossen.
Manche Textpassage, bei der man erwartet, daß sie ridikül weitergeführt wird, ist offenbar bierernst gemeint. Italiener würden niemals im Zug essen und ähnliche Verallgemeinerungen, sind natürlich Unsinn. Mag ja sein, daß Reskis Erfahrungen andere sind, ich habe eher - je mehr Italiener ich kennen lerne, desto mehr - den Eindruck, es gibt in Italien gar keine Italiener, sondern nur Sizilianer, Kalabresen, Neapolitaner, Römer, Toskaner, Venezianer, Lombarden ... (die ich vergessen habe aufzuzählen, werden mir hoffentlich verzeihen). Wer nur ein wenig die grotesk-tragische Geschichte der italienischen Unabhängigkeits- und Einigungsbewegung des 19. Jahrhunderts zur Kenntnis genommen hat, wird sich darüber nicht wundern.
Überhaupt: Ich dachte solche unsinnigen Verallgemeinerungen über "die Italiener", "die Deutschen", "die Touristen" sind endlich ausgestorben. Gegen "die Touristen" hilft vielleicht Ernst Bloch: "In der Fremde ist niemand exotisch als der Fremde selbst: das gilt schon für Italien, nicht erst für den Orient." (Venedigs italienische Nacht, 1934). Gegen "die Italiener" hilft vielleicht folgende Geschichte: Ich kenne eine in den 60ern in Wolfsburg geborene "Sizilianerin", die immer noch darüber trauert, daß es den Sonderzug von Wolfsburg nach Palermo, mit dem man im Sommer während der Betriebsferien "nach Hause" gefahren ist, nicht mehr gibt: Auf der Rückfahrt fand immer ein so schönes allgemeines Tauschen von heimischem Käse und Wurst usw., usw. mit gemeinsamen Essen statt. Daraus ließe sich eine schöne Geschichte machen, nach der "alle" Wolfsburger Italiener infolge frühkindlicher Prägung unter zwanghaften Essanfällen leiden, sobald sie im Zug sitzen, die umso heftiger ausfallen, je länger die Zugfahrten in die "Heimat" waren. Bitteschön: Ich verschenke die Idee zur literarischen Gestaltung. Vielleicht hätte die Autorin, bevor sie über Venedig schreibt, etwas mehr die Worte von Gehard Tötschinger (Nur Venedig ist ein bissl anders. Wien 2002, S. 214) bedenken sollen, mit der der faktisch sein Venedig-Buch schließt: "Die Hektik im Schloß ist nur brauchbar, wenn im Märchen Ungewöhnliches geschieht, wenn König Drosselbart einschreitet, Aschenbrödel davon- und der Prinz ihm nachläuft. Der schloßgewordene Stadtraum Venedig verlangt Würde und wird zum Prüfstein, zur Schule, zur Chance. Venedig macht freundlich..."
[*] Diese Rezension schrieb: Lothar W. Pawliczak (2010-05-03)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.