"Endlich allein." Narziß, oder Narkissos wie er hier genannt wird, wird als Sohn der Nymphe Liriope und des Flussgottes Kephissos geboren. Er war wunderschön und es schien als würde er eine blendende Zukunft haben. Dennoch ging seine Mutter zum Seher Teiresias, der ihr auf die Frage nach dem zukünftigen Schicksal des Sohnes antwortet: "Er wird so lange leben, bis er erkannt hat, wer er ist."
Echo und der Widerspenstige
Die meisten kennen das Schicksal, aber wenige wissen, dass er sich auch einmal verliebte. In Echo. Die Nymphe gehörte zum Gefolge Heras, aber sie plapperte so viel, dass ihr diese eine aufs Maul gab. So konnte sie ab diesem Tage nur mehr nachsprechen was andere sagten, aber eigentlich nur die letzten Silben. "Ist jemand hier", fragte Narkissos ins Leere und folgte dem Echo "hier". Aber als Echo ihn sogleich begehrtes schrie er: "Lass ab von mir! Lieber sterbe ich, als dich zu erhören!" Der wohlbekannte Blick des Begehrens hatte ihn auch dieses Mal wieder abgeschreckt. Denn er wollte viel lieber alleine sein - mit sich und seinen Gedanken! Die Illustration des Illustrators Burkhard Neie zeigt eine Büste von Narziß, sein Gesicht hinter Gittern, vom Kopf fallen ihm welke Blumen. Aber dies ist nur eine von 20 weiteren Geschichten aus der Antike, die von Matthias Reiner neu nacherzählt und von Burkhard Neie illustriert wird. Wir hören die Schwingen des Ikarus, der bei seinem Vogelflug der Sonne zu nah kam, lauschen dem Webstuhl von Arachne, die besser weben konnte als die Göttin Pallas Athene und rollen mit dem überheblichen Sisyphos den Stein. Aber auch Oidipus und die Sphinx erfahren eine Neuinterpretation, ebenso wie die geraubte Europa, die Argonauten auf der Suche nach dem Goldenen Vlies oder Prometheus‘ Qualen.
Göttliche Belohnung: die unendliche Liebe
Oprheus und Eurydike ist eine wohl ebenso tragische Geschichte wie jene von Narkissos und Echo. Auch hier geht es um die Liebe zweier Menschen, die zu wenig Vertrauen in sich oder den Geliebte/n haben. Aber die Liebe von Orpheus zu Eurydike war sogar so groß, dass er die Tote aus dem Hades zurückholen wollte. Durch einen unglücklichen Biss einer Giftschlange war das sanfte Band der Liebe zertrennt worden. Orpheus überquert den Totenfluss Styx und gelangt bis zum Thron von Hades und Persephone. Denn jeder in der Unterwelt will seinen Gesang hören und lässt ihn passieren. Sogar Hades macht ihm schließlich ein Angebot. Philemon und Baukis handelt auch von der unendlichen Liebe zweier Menschen. Die beiden befinden sich schon im Greisenalter, als die Götter sie in ihrer bescheidenen Hütte unerkannt besuchen. Gastfreundschaft war der Untersuchungsgegenstand, den Zeus und Hermes in Erfahrung bringen wollten. Die Hütte von Philemon und Baukis betraten sie, als sie gerade alle Hoffnung fahren hatten lassen. Doch siehe da! Ecce homo! Es gibt noch Menschen, die das kostbare Gut der Gastfreundschaft ebenso schätzen. Die beiden wurden reichlich dafür belohnt: mit unendlicher Liebe! "Am Anfang war das Nichts. Nur endlose Ödnis, der Weltenraum leer, ohne Ordnung oder Ziel. Dann erschien Gaia, die Göttin der Erde und Mutter allen nachfolgenden Lebens. Und mit ihr das Liebesbegehren, die mächtigste der archaischen Kräfte: Eros.", so heißt schon beim und vom Anbeginn der Welt an...
Matthias Reiner
Die schönsten Sagen der Antike
Nacherzählt von Matthias Reiner. Mit Illustrationen von Burkhard Neie
2022, Fester Einband, 150 Seiten
Insel-Bücherei 2049
ISBN: 978-3-458-20049-9
18,00€
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2022-04-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.