„Nach Hause? Da erwartet mich nichts außer ein paar Büchern und einem leeren Bett. Vielleicht sollte ich mir doch mal wieder einen Fernseher anschaffen. Oder mal Urlaub machen. Mit Heidi nach Bali. Oder in den Osten. Oder was anderes anfangen. Man könnte aber auch noch einen trinken, irgendwo. Erst mal los. Der Rest wird sich schon irgendwie ergeben.“ Herr Lehmann verkörpert wie keine andere Romanfigur die legendären Achtziger Jahre an die sie eigentlich nur die erinnern können, die nicht dabei waren, wie man einen anderen inzwischen verstorbenen Zeitzeugen – Falco – paraphrasieren könnte. Der von Sven Regener geschaffene Protagonist feiert ausgerechnet am 9. November 1989 seinen dreißigsten Geburtstag und die Ereignisse, die sich davor und danach abspielen sind für Herr Lehmann sicherlich ebenso historisch, wie das Rundherum für Deutschland und damit Europa. Ein historischer Geburtstag, ein historisches Ereignis.
Dabei passiert eigentlich gar nicht so viel, in „Herr Lehmann“. Seine Eltern besuchen ihn in Berlin, er lernt eine Frau kennen, sie hat mit Kristall-Rainer oder Weizen-Jürgen ab und Lehmann findet sich morgens um halb neun immer noch mit einem Glas Bier in einer Kneipe, eigentlich das einzige, woran er sich die ganze Zeit festhalten kann. Denn selbst sein bester Freund, Karl, ein Hüne von einem Mann, beginnt zu wanken, in diesem Jahrzehnt, an dessen Veränderungen wir heute noch mächtig zu knabbern haben. Und um diesen Karl kümmert sich Frank (Lehmann, denn duzen und dann mit Nachnamen reden ist eigentlich wirklich doof) aufopfernd, denn dieser Karl hat eine Identitätskrise, wie ihm sein Arzt attestiert, sogar Versagensängste, denn vielleicht kann er als Künstler wirklich nur versagen. Da macht es sich Lehmann schon einfacher, denn er ist einfach nur ein Vollblutkellner, der auch dazu steht. Eigentlich sogar nur Barmann, aber das ist eine andere Geschichte. Eine meiner Lieblingsszenen ist immer noch die mit seiner Angebeteten in der Dönerbude oder wenn er im Kino bei der Star Wars Nacht schon nach den ersten paar Minuten der Vorführung ans Kinobuffet geht und dort auch bleibt.
Herr Lehmann war nicht einfach nur ein Buch aus den berüchtigten Achtzigern, nein, es war auch ein ...Film, noch dazu mit einem tollen Soundtrack und einem doch ziemlich überzeugenden Christian Ulmen in der Titelrolle. Und jetzt, mehr als 10 Jahre später gibt es auch das Comic zum Buch, das gezeichnet von Tim Dinter, beim Eichborn Verlag erschienen ist. Der 71er Jahrgang hat die Wende wohl weit weniger intensiv erlebt, als der eigentliche Autor des Buches, Sven Regener, seines Zeichens auch Sänger von „Element of Crime“, die immer noch durch die Lande touren und in ausverkauften Hallen spielen. Damals in den Achtzigern gab es die Band auch schon und auch den fiktiven Herrn Lehmann, obwohl man ihn sich gar nicht als Konzertgeher vorstellen könnte. Zuletzt ist auch das neue Buch von Regener, „Magical Mystery“, über Frank Lehmanns Freund Karl (im Film: Detlev Buck) bei Galiani erschienen, das den Achtzigern noch einen wesentlichen zusätzlichen Charakterzug verleiht. Der Hype um ein Jahrzehnt geht also weiter.
Sven Regener
Herr Lehmann
Gezeichnet von Tim Dinter
Mit Illustrationen von Tim Dinter
Eichborn
Hardcover
Graphic Novel
238 Seiten
Ab 16 Jahren
ISBN: 978-3-8479-0581-3
[*] Diese Rezension schrieb: juergen weber (2016-02-09)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.