Sehr detailliert und bildreich bis hin zu angebrannten Bohnen in einem Topf beschreibt Matt Beynon Rees in seinem neuen Roman, dem vierten Band der Omar Jussuf Reihe, die Lebenswelt der Palästinenser, vorrangig in „Little Palestine“, einem Immigrantenviertel in Brooklyn, New York bis in kleinste Feinheiten hinein. Ein Viertel, in dem Omar Jussuf als in Palästina lebender Lehrer eines Flüchtlingslagers, seinen Sohn Ala zu besuchen gedenkt.
Nicht nur Ala übrigens, sondern eine ganze Reihe ehemaliger Schüler des Omar Jussuf haben hier Station gefunden, selbst ein Offizier der Polizei New Yorks hat seine Wurzeln im gemeinsamen Umfeld in Bethlehem. Hamsa, der Bodybuilder und Polizist, der eintrifft, als Omar in der Wohnung seines Sohnes eine geköpfte Leiche auffindet, die er zunächst für seinen Sohn hält. Hamsa, der nicht nur Bizeps, sondern auch einen scharfen Verstand besitzt und dennoch, genauso wie Omar Jussuf, zunächst ohne große Idee vor dem Mord steht. Omar Jussufs Sohn zumindest ist der Tote nicht, wer aber dann? Der engste Freund Alas? Da Ala, zunächst kein Alibi aufzuweisen hat, wird er in Untersuchungshaft genommen wird. Grund genug für Omar Jussuf, auf eigene Faust nachzuforschen, was und wer hinter dem Mord stecken könnte.
Soweit die Ausgangslage der Geschichte, in die Omar Jussuf, ein älterer, fast glatzköpfiger Mann, der nichts anderes in New York möchte, als seine Ansprache über die Situation im Flüchtlingslager bei einer UNO Versammlung zu Gehör zu bringen und bei der Gelegenheit eifrig Kleidung zu kaufen gedenkt, sich an die Aufklärung des Mordes macht.
Matt Beynon Rees nutzt diese, im übrigen sehr intelligent und nicht vorhersehbar angelegte Geschichte, um immer wieder mit genauem Blick das Leben, die Haltung, die vielfachen Verbindungen der Palästinenser (nicht nur im Exil) in den Vordergrund zu rücken. Dabei verfällt er nicht in eine Schönfärberei, sondern stellt die palästinensische Lebensart und deren politisches Anliegen differenziert da. Vom schmierigen Charakter bis zum aufrechten Verfechter einer friedlichen Welt bis zum Attentäter reicht die Bandbreite seiner Figuren.
Seiner, das muss bemerkt werden, leider in Teilen etwas blutleerer Figuren. So intensiv Rees bildhaft die äußeren Ereignisse und Situationen zu beschreiben vermag, so fehlt dennoch in der emotionalen Dichte der Figuren oft ein überspringender Funke. Die Reaktionen Omar Jussufs auf den vermeintlichen Fund der Leiche seines Sohnes sind ein Beispiel für diesen Mangel. Minutiös im äußeren Erleben geschildert fällt es doch als Leser schwer, emotional in das innere Erleben der Szene mit einbezogen zu werden. Hier wie an anderen Stellen verbleibt der Blick des Autors zu sehr in der äußeren Darstellung. Nichtsdestotrotz legt Matt Beynon Rees eine durchdachte und in sich schlüssige Geschichte mit vielfachen, überraschenden Wendungen vor, die aufgrund des klaren Sprachstils einen vielfachen Einblick in die oft unbekannte Lebenswelt eines heimatlosen Volkes ermöglichen.
Die Rede Omar Jussufs vor den Vereinten Nationen zum Ende des Buches hin ergibt dann, nach langem Warten, durchaus auch eine Ahnung von der emotionalen Tiefe des Erlebens.
Omar Jussuf ist ein zurückhaltender, höflicher, stiller Protagonist, der mit seiner Lebenserfahrung und seinem klugen Blick dennoch in der Lage ist, die richtigen Schlüsse zu ziehen und am rechten Ort Mut zu beweisen. Ebenso dramatisch, wie die Lage der Palästinenser, wird er die eigentlichen Hintergründe des Verbrechens zum Ende des Buches hin vorfinden und ebenso dramatisch wird es manchen der Beteiligten ergehen. Vom geplanten Attentat bis zum Familiendrama reicht zu guter Letzt die Reihe der Motive. Obwohl es hier und da an emotionaler Tiefe der Figuren fehlt, stellt das Buch eine interessante Lektüre dar.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2011-03-21)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.