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(Bücher frei Haus)

Obwohl die hier versammelten, zum kleineren Teil in Partnerschaft mit Carl Merz verfassten, Dialoge, Monologe und Einakter souveräne Sprachbeherrschung und empathische Charaktergestaltung vorweisen, wird man Helmut Qualtinger nicht als großen Schriftsteller der Stadt Wien im Gedächtnis behalten - wie vielleicht Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Karl Kraus, Stefan Zweig, Robert Musil, Elias Canetti, Heimito von Doderer, Alfred Polgar oder Robert Neumann. Helmut Qualtinger wird man eher in die kleinkünstlerische Schublade des Kabarettisten sortieren, welcher er, nebst Nestroy-Volkstheater-Schauspieler, Hörbuch-Rezitator (unter anderem „Mein Kampf“), Urviech (nach dem Krieg hatte der junge Mann sich als Kulturkommissar der russischen Armee ausgegeben), ja auch gewesen ist. Allerdings merkt man es den Kurzdramen und Szenen an, genau das wollte er lieber sein: einer unter den Schriftstellern Wiens. Indessen, des Krawalls anlässlich der 1949-er Grazer Schauspielpremiere von Qualtingers Halbstarkenstück „Jugend vor den Schranken“ zum Beispiel entsinnt sich niemand mehr.

Beim Nachlesen in Wikipedia bin ich erstaunt. In meinem eigenen Leben schien Qualtinger mir einer, den ich eben verpasst hatte. Und doch ist der „Blade“, nach unvernünftigem Lebenswandel Ausschauende nicht mit knapp fünfzig, vergreist gestorben, sondern er hat die Sechzig fast noch voll gemacht, das Wendejahr 1989 fast noch miterlebt. Er kam mir fern vor. Sicher, da war noch die Nebenrolle im „Name der Rose“, 1986, war der Zauberkönig aus Maximilian Schells etwas verkitschten „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Auch hatte ich die LP mit der Klavierkonzertmusik, die der Stuttgarter Jazzer Wolfgang Dauner fürs historische Melodram „Grandison“ des unglücklichen Filmers Achim Kurz geschrieben hatte. Der war auch mit Qualtinger!

Natürlich darf der zur schaurigen Legende gewordene „Herr Karl“ (von 1961) den Reigen eröffnen. Liest man das nach so langer Zeit und als „Reichsdeutscher“ noch mal, fasst man das kaum: Herr Karl ist durchaus nicht dieser menschenverachtende Sadist aus besten Kreisen, der er in bundesdeutschen Geschichtsbewältigungstücken oder -Filmen geworden wäre, Schuldirektor, Richter, Ankläger, Offizier, Fabrikant, auf dessen zwölf besagte Jahre eine Mehrzahl von Toten und ein Vermögenszuwachs gehen, sowie ein vor Nachstellungen schützendes Kameradennetzwerk. Herr Karl ist von jeher gewesen, was man einen „Loser“ nennt. Ganz allein, ohne Familie, Anhang, verzweifelt nach möglichen Zuhörern haschend, um sich per Palaver von seiner Arbeit abhalten zu können, im fortgeschrittenen Alter noch der Steigenträger im Keller einer Gemüsehandlung. In all den Jahren seit der Kaiserzeit ist er überall nur dabeigestanden, weil es doch interessant ist, wenn was geht. Ein ängstlicher, freundlich heimtückischer Zuschauer.

Nach allem, was sich herausbringen lässt auf die Schnelle, ist Qualtiger als Privatmensch nie etwas Bemerkenswertes gewesen, weder Proletarier noch Haute-volée, nicht Kommunist, nicht Jude, nicht verheimlichter Homosexueller. Das Kind eines Gymnasiallehrers für Mathematik. Später, in den Tagen seines Ruhms bereits, lebte er sechzehn Jahre in einem Döblinger Gemeindebau, an dem heute eine Plakette hängt. Qualtingers große Zeit liegt eine Weile zurück: Die ausgehenden fünfziger Jahre waren das, als er dem von Gerhard Bronner gegründeten „Namenlosen Ensemble“ angehörte; Carl Merz und Michael Kehlmann (der Vater des Autors Daniel Kehlmann) schrieben Texte und führten Regie. Georg Kreisler, Louise Martini, Kurt Sobotka und Kurt Jaggberg zählten als Akteure zu seinen Kollegen.

Die Lektüre einiger „Brenner“-Krimis von Wolf Haas hatte mich darauf gebracht. War das nicht jener freundliche Unmensch-Monologe-Ton von Qualtinger-Gestalten, ein älterer Junggeselle als Erzähler, der über dem Glaserl Schnaps sich dann am besten selbst gefällt, wenn er wegredet von der eigentlichen Sache? Wäre nicht Qualtinger die Idealbesetzung für den Dirnenmörder Moosbrugger aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“? Oder für einen Typen wie jenen Josef Fritzl, aus dem wirklichen Leben, der 24 Jahre lang seine Tochter im Keller gefangen hält, mit ihr Geschlechtsverkehr hat, die entstehenden Kinder teils zur Adoption gibt, teils als weitere Opfer einsperrt?

Aber nein! Das stimmt ja nicht. Nicht, wenn man sich diese Sammlung ansieht. Abgrundtief Schlechtes war nicht Qualtingers Fach, eher wohl die Schäbigkeit und Borniertheit des Wiener Jedermanns aus jeglicher sozialen Schicht. Seinen Ruf schwarzhumoriger Groteske bekam er, weil er das Positive verweigert, jene eine kleine Hoffnung, den Silberstreif, das erlösende Lachen zum Schluss. In seinen Szenen gibt es nur selbstsüchtige Menschen. Aber Geltungssucht, Denkfaulheit, Eigenliebe mit so einem Hang zum Verschwimmen in Sentimentalität sind ja nichts Monströses. Eher beleidigend durch ihre Allgegenwärtigkeit.

Qualtingers Wiener sind ein bisserl leer in ihrem Selbst, also einsam und gesprächsversessen, weil es eine bequeme Art ist, die Lebenszeit herumzubringen, bedeutend zu reden, ohne bedeutend zu sein. Abgebrüht und ohne Illusion sind sie auch noch. Sowieso sind alle andern wie sie, die eigenen Eltern und die eigenen Kinder mindestens genauso schäbig; daher liebt man keins davon. Man muss zum Wein, ins Kaffeehaus, ins Nachtlokal, um Fremde zu angeln, denen man von sich erzählen kann. Eitel sind sie. Aber auch ängstlich. Man riskiert besser nichts mehr, so vieles geht schief. Zuletzt gibt’s dann ein Hunderl oder eine Katz für die missverstandene Seele.

Zitat:

Sonja: Die erste Zeit hab’ ich die Mama bei mir g’habt.
Aimée: Meine hab’ ich als Bedienerin aus’geben ...
Sonja: Weil’s aus Niederösterreich war!
Aimée (verklärt): Aus dem Wienerwald.
Sonja: Meine hat ihren Hausmeisterposten behalten. Das hat sie sich partout nicht nehmen lassen.
Aimée: Eine fesche Zeit war’s ...
Sonja: Ja, fesch ist es nicht mehr.
Aimée: Warum hat die Kapelle aufg’hört zum Spielen?
Sonja: Ich glaub’, es wird zum Regnen anfangen.
Aimée: Hat’s früher auch so viel g’regnet?
Sonja: Im ersten Bezirk nicht.
Aimée: Am Nachmittag hat man nie aufs Wetter g’schaut - l’heure bleue ...

Politisch sind die Texte nicht. Da führen, gerade für deutsche Leser, die Zuschreibungen, die sich am Herrn Karl festgemacht haben, in die Irre: kritisches Kabarett, ein Mitläufer der Nazizeit. Nein, was den Karl mit Qualtingers übrigem Personal verbindet: Stets werden ein oder zwei Figuren gezeigt, die sich im Gespräch der Selbstdarstellung hingeben, das eigentliche Versagen der Existenz dann zwar nicht thematisieren, aber mit ihren Nebensächlichkeiten zwanghaft umkreisen. Qualtingers ewiges Thema ist das Nicht-Bewältigen der Mitmenschlichkeit. Manchmal scheinen uns die Texte Rätsel aufzugeben: Was versuchen diese Schwätzer wegzureden? Welcher Lebensprobe haben die sich verweigert?

Als Dramen ausgehöhlter menschlicher Existenz passen diese Stücke gut in ihre Entstehungszeit, zum, um es so zu sagen, „Existenzialismus“ von Schriftstellern wie Beckett, Dürrenmatt, Ionesco oder Anouilh. Ihr Verlangen nach Nachdenklichkeit muss die Lust späterer Generationen auf leichtere Unterhaltung (die Comedians, Peinlichkeitshumor von Filmkomödien à la „Verrückt nach Mary“) genauso verprellen wie die Schrecklust von Horrorfans. Gegenüber „Schweigen der Lämmer“ oder „Kill Bill“ kommt die Schmäh-Bösartigkeit Helmut Qualtingers einem dann doch betulich vor, von gestern irgendwie.

[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2016-08-13)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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