Sie liebt Kurt Vonnegut und sein chrono-synklastisches Infundibulum“ aus seinem Roman „Die Sirenen des Titan“ und sie liebt ihre Unabhängigkeit in den Leben, das sie sich eingerichtet hat, ich 25- jährige Ich-Erzählerin Thene, die in Oxford studiert und in Heidelberg ihren Zweitwohnsitz hat, von wo aus sie immer wieder mit ihrem Freund Paul in den Odenwald fährt.
Doch auch dort, in dieser Idylle holt sie immer wieder ihre chaotisch Patchworkfamilie ein, eine in alle Himmelsrichtungen verstreute ostwestdeutsche Mischpoke.
Da ist die Mutter Astrid, Althippie, Weltretterin, Punk, die noch nur ihre Familie manipuliert, sondern der es mehr um ihre guten Taten geht, die sie zweifellos in eigennütziger Absicht begeht, als um ihre Familie. Da ist der Vater Georg, der als Thene zehn war, sie erlasen und für fünf Jahre abgetaucht ist, um dann als Schwuler wieder aufzutauchen. Und da ist eine ganze Menge abgelegter Stiefväter (Astrid ist nebenher immer auch sexuell sehr aktiv), darunter der jüdisch-orthodox gewandelte Menachem. Nur mit dessen Sohn, ihrem 15-jährigen Halbbruder Eli kommt Thene einigermaßen klar.
Thene ist auf der Suche nach einer Mutter, die Astrid nicht sein will. Sie ist Teil einer Generation, die in einer Art neuen Spießigkeit und Angepasstheit revoltiert. Anpassung als eine Form der Rebellion, weil sie kein anderes Mittel der Abgrenzung zu ihren ach so engagierten und linken Eltern sehen – so geht es sicher nicht nur Thene, die man ruhig als Alter Ego von Nele Pollatschek bezeichnen kann, denn alle biographischen Stationen von Thene sind auch die von Nele.
Es ist schon eine große Leistung, bei einer solchen Mischpoke von Verwandtschaft ein eigenständiges Leben zu führen.
Ich hoffe, es bleibt nicht bei diesem gelungenen und beachtenswerten Debüt und wir werden bald noch mehr von en literarischen Talent von Nele Pollatschek erleben.
Nele Pollatschek, Das Unglück anderer Leute, Galiani 2016, ISBN 978-3-86971-137-9
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2016-08-31)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.