Das Viktorianische Zeitalter, Südengland im 19. Jahrhundert. Ein alter Trunkenbold und ein Priester begegnen sich an einer Wegkreuzung. Letzterer grüßt ersteren mit „Sir“, was im Englischen einem Adelstitel gleich kommt. Als der Angesprochene den Priester zur Rede stellt, erwidert dieser, er habe in seinen Büchern den Hinweis darauf gefunden, dass der Bauer Jack Durbeyfield eigentlich von der adeligen Familie der d'Urbervilles abstamme. Solchermaßen „erhöht“ beschließt Jack, seine schöne Tochter Tess zu den vermeintlichen letzten überlebenden Verwandten der d'Urbervilles zu schicken, um zumindest das Geld für ein neues Pferd zu ergaunern.
Vergewaltigung und Sühne
Die unschuldige und schöne Tess wird von dem jungen Gutsherrn der d'Urbervilles natürlich gerne „adoptiert“ und bietet ihrem Vater an, dass Tess bei ihnen arbeiten könne. Aber der Schürzenjäger Alec d'Urbervilles hat natürlich ganz andere Pläne: er will das Herz der Schönen erobern. Seine „Liebe“ bleibt unerwidert und so vergewaltigt er sie kurzerhand auf einem Waldboden und lässt sie danach widerwillig abziehen. Tess findet vorläufig Trost beim Pastorensohn Angel Clare, aber nur bis dieser unter unglücklichen Umständen von ihrer Vergangenheit erfährt. Roman Polanski’s Bildsprache erinnert an einige impressionistische Gemälde, darunter Claude Monets Seerosen oder die Ähren schneidenden Bäuerinnen von Van Gogh. Die Schönheit der südfranzösischen Landschaft (obwohl der Film in Südenglang spielte, wurde er in Südfrankreich gedreht) konterkariert den Zustand der englischen Viktorianischen Gesellschaft in der Adelige als Herren sich alles nehmen konnten, sogar die Töchter ihrer Untergebenen.
Tess, eine Frau, die sich wehrt
Die Romanverfilmung von „Tess von den d'Urbervilles: Eine reine Frau“ (1891) von Thomas Hardy durch Roman Polanski erzeugte bei seiner ersten öffentlichen Aufführung 1981 wohl ebenso viel Anstoß, wie beim Erscheinen des Romans. Denn die doppelte bürgerliche Moral, die den Täter schützt und das Opfer ausschließt, herrschte auch 90 Jahre später noch. Doch „Tess“ steht auch für eine Frau, die sich dafür rächt, was ihr die Gesellschaft angetan hat und stellt somit die Klassenfrage auf eindringliche Art und Weise. Der Film wurde 1981 mit drei Oscars für das Szenenbild, die Beste Kamera sowie das Kostümdesign ausgezeichnet. Wohl einer der politischsten Filme seiner Zeit und von Roman Polanski, der diesen Film seiner ermordeten Gattin Sharon Tate widmete, die „Tess von den d'Urbervilles“ zeitlebens als ihr Lieblingsbuch bezeichnet hatte.
Roman Polanski
Tess
(Originaltitel: Tess)
Drama, Romance, F / GB 1979, DVD, FSK 12, ca. 164 Minuten
EXTRAS: Trailer; Wendecover
Mit Nastassja Kinski ("Paris, Texas", "Katzenmenschen", "Tödliche Geschwindigkeit")
Leigh Lawson ("Casanova", "Bruder Sonne, Schwester Mond", "Camelot - Der Fluch des goldenen Schwertes"), Peter Firth ("Spooks - Verräter in den eigenen Reihen", "Jagd auf roter Oktober", "Lifeforce - Die tödliche Bedrohung"), John Collin ("The Guardians", "Our Mutual Friend")
EAN 4006680083506
Studiocanal
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2019-02-18)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.