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Andrej Platonow - Die Baugrube
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Platonow, Andrej:
Die Baugrube

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(Bücher frei Haus)

„Ach du, Masse, Masse! Es ist schwer aus dir den Grützbrei des Kommunismus zu organisieren“, klagt der Protagonist Woschtschew in Platonows (eigentlich: Andrej Platonowtisch Klimentow) Roman „Die Baugrube“. Diese „Baugrube“ steht natürlich als Metapher für den zu errichtenden Kommunismus in der Sowjet des Jahres 1929/30, zu dessen Zeitpunkt es um die „Liquidierung der Kulaken als Klasse“ ging. Platonow bedient sich einer ganz speziellen Sprache, die sich aus den christlichen Mythen des einfachen Volkes und dem verordneten Neusprech der neuen Machthaber zusammensetzt. „Der unsägliche Jargon, die Schlagwortreihung, die absurden Abkürzungen, die zu vollgültigen Wörtern geadelt werden, der permanente Befehlston, nein, das ist leider nicht komisch, weil das Zeugs nicht von einem Komödianten zu Gehör gebracht, sondern von einem Schriftsteller akribisch gelistet wird, der hinter jedem dieser Worte die unerhörte Grausamkeit blitzartig erscheinen lässt“, meint Sibylle Lewitscharoff im Nachwort zur „Baugrube“, dem Schlüsselwerk und Hauptwerk der russischen Literatur, das für Lewitscharoff sogar Bulgakow und Pasternak noch übertreffe. Tatsächlich macht Platonow aus seinen Protagonisten die Sprecher einer neuen Gesellschaft und wahrscheinlich sind sie genau deswegen so schlecht zu verstehen, weil sie nicht davon überzeugt sind von dem, was sie sagen sollen. Die Melancholie und Gleichmütigkeit mit der ihre Geschichte erzählt wird ist allein schon aufrührerisch genug, in einer Gesellschaft, in der alles funktionieren muss, aber nichts funktioniert.

Kündigung wegen Nachdenklichkeit

„Ein Proletarier nicht nur im Sinne seiner Klassenzugehörigkeit, sondern im Geist“, attestierte Redakteur Georgij Litwin-Molotow seinem Freund Platonow, der in der Zeit der Russischen Revolution zu schreiben begann. „Entsprechend schief und brüchig“ sei deswegen auch die Grammatik seines Romans, wie Gabriele Leupold im Nachwort zu ihrer hier vorliegenden Neuübersetzung schreibt, denn der „Bau einer neuen Welt“ bedurfte auch einer neuen Sprache, die sich viele nur „eklektisch und auf hilflose Weise phantastisch“ angeeignet hätten. Die Jahre 1929/30, die von Platonow in seinem Roman beschrieben werden, gehörten sicherlich zu den härtesten, denn nach dem jahrelangen Bürgerkrieg setzte sich Stalin mit seinen Fünfjahresplänen durch, die Hungersnöte „alttestamentarischen Ausmaßes“ verursachten, so Leupold. Der Protagonist Woschtschew ist erschöpft und nach seiner Kündigung zum dreißigsten Geburtstag aufgrund von „Kraftschwäche und Nachdenklichkeit“ arbeitet er an der Baugrube mit.. Aber Platonow – dessen Name nicht umsonst an Platon erinnert – war nicht nur Autor und politisch interessierter Weggenosse der Revolution, sondern auch ein Ingenieur und „Meliorator“, der durch Bewässerung die Bodenbedingungen großflächig verbessern half. Er weiß also wovon er schreibt.

Proletarische Melancholie/Sowjetische Schwermut

Die Ziel des ersten Fünfjahresplanes (1928-32/33) war auch die Zeit der schlimmsten politischen Verfolgungen und des Bruchs zwischen Stalin und Bucharin, der ein langsameres Hineinwachsen der Kulaken (Großbauern) in den Sozialismus befürwortet hatte und deswegen von Stalin als rechter Abweichler verurteilt wurde. Neben dem melancholischen Woschtschew spielen auch Shatschwew, ein ehemaliger Imperialist und Kriegsversehrter und Tschiklin, der nicht denkt, sondern nur handelt, eine wichtige Rolle. Auch die burshujka werden beschrieben, die Reste der Bourgeoisie in Russland, die absurderweise gleichzeitig die sozialistische Zukunft verkörperten: ein Ofen für jeden.

Häuser wie Gräber

Der Bauführer Pruschewskij wiederum begreift die Welt als „toten Körper“ und ist selbst lebensmüde. Und schließlich spielt auch ein Bär eine gewisse, unvermeidliche Rolle in diesem Roman, in dem die Klein- und Mittelbauern ihre Tiere nur dadurch vor der Kollektivierung und dem Verhungern in der neuen Gesellschaft retten können, indem sie sie selbst allesamt verspeisen. Nastja, die weibliche Hauptperson, ergeht es am Ende wie der Baugrube und sie redet unentwegt darüber, wer den Tod nicht alles verdient und wird damit zur Allegorie auf den jungen Kommunismus. „So gräbt man Gräber, keine Häuser“, sagt Tschiklin an einer Stelle zu Koslow und man versteht, dass auch die Häuser Gräber sind, in Stalin’s „Sozialismus in einem Lande“. Das Gefühl einen hochkonzentrierten, doppelbödigen Text zu lesen, schreibt Leupold, so entschlüsselungsbedürftig wie Lyrik, gründe in Platonows literarischer Methode der Verdichtung.

Ich komme nicht umhin am Ende dieser Rezension auch die Covergestaltung der Hardcover Ausgabe des Suhrkamp Verlages ekstatisch zu loben. So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen. „Ist wirklich Schwermut in der ganzen Welt, und nur allein in uns der Fünfjahrplan?“

Andrej Platonow
Die Baugrube - Roman
Aus dem Russischen von Gabriele Leupold Mit einem Nachwort von Sibylle Lewitscharoff
Suhrkamp, Gebunden, 240 Seiten
ISBN: 978-3-518-42561-9
D: 24,00 €
A: 24,70 €
CH: 34,50 sFr

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2017-02-08)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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