Das gleichnamige Buch von Michail Bulgakow inspirierte nicht nur einen der bekanntesten Rocksongs der Rolling Stones („Sympathy for the Devil“), sondern auch den jugoslawischen Filmemacher Aleksandar Petrovic, der aus dem scharfsinnigen Klassiker der Weltliteratur eine bitterböse Satire auf die Arroganz der Eliten und die Zensurbehörde des (stalinistischen) Apparates macht. Im Jugoslawien der 70er war der Film zwanzig Jahre lang verboten, zu sehr ähnelte die von Bulgakow geschilderte Welt der sowjetischen 1930er Jahre dem real existierenden Sozialismus in Jugoslawien, das zwar offizielle blockfrei war, sich aber bezüglich Herrschaftsausübung und Verletzung der Bürger- und Menschenrechte nur de jure aber nicht de facto unterschied.
Film im Film
„Doch es kommt eine Zeit, in der es keine Macht geben wird, keine Caesaren oder sonstigen Herrscher. Und der Mensch tritt ein in das Reich der Gerechtigkeit und der Wahrheit, das aller Gewalt entbehrt.“, sagt frank und frei Jeschua zu Pontius Pilatus und stellt damit nicht nur das Römische Imperium in Frage, sondern wohl auch alle Herrschaft an sich. Die Biographie des Pilatus ist die eine Geschichte, die von Bulgakow als „Roman im Roman“ erzählt wird und darin verwendet er nicht nur die alten gräzisierten oder hebräischen Formen, sondern weist auch immer wieder darauf hin, in welchen Sprachen damals gesprochen wurden. Und natürlich ist die Interpretation der Vergangenheit immer auch eine Analyse der Gegenwart.
Sympathy for the devil?
„I was around when Jesus Christ had his moment of doubt and pain/Made damn sure that Pilate washed his hands and sealed his fate“, sangen die Stones und weiter: „I stuck around St. Petersburg, when I saw it was a time for a change…”. Nun, bei Bulgakow kommt der Teufel bis Moskau und zettelt zwar keine Revolution, aber doch ein ziemliches Chaos an. Der Roman wurde eine Dekade nach der Revolution geschrieben und spielt auch ungefähr in dieser Zeit. „Ziegensumpf“ war der volkstümliche Name der Teiche, was auf Russisch einigermaßen dämonisch klingt, wie auch der Übersetzer Alexander Nitzberg anklingen lässt: „Koz’e boloto“. Und wer bei Ziege nicht gleich an den Bocksfüßigen denkt, der wird spätestens nach dem ersten Kapitel merken, dass es in diesem fantastisch-realistischen Roman nicht immer mit rechten Dingen zugeht und kein Geringerer als der Teufel seine Hände im Spiel hat.
Die echte, wahrhafte und ewige Liebe
Erst im Zweiten Teil des Buches und des Films taucht dann endlich auch Margarita auf, was man schon am ersten Satz spürt: „Wer hat dir erzählt, es gebe auf der Welt keine echte, wahrhafte, ewige Liebe? Möge dem Lügner seine schändliche Zunge abgetrennt werden!“ Ist es also allein dem Charme dieser Margarita zu verdanken, dass Woland (Professor W) mit Hilfe seiner Kumpanen, dem Kater Behemoth, dem wienernden Korowjew, Azazello und der Dienerin Gella, der Liebe zu ihrem Durchbruch verhilft, auch wenn er die Liebenden dann – wie bei Tristan und Isolde – zunächst Gift trinken lässt? Zuerst muss aber ohnehin die große Séance im Varieté gut über die Bühne gebracht werden und als Behemoth „eng dö trua“ (gemeint: un deux trois) einem Theaterkritiker den Kopf erst abreißen und dann wieder aufschrauben.
Aleksandar Petrovic
Der Meister und Margherita
Koch Media Home Entertainment, Blu Ray, 1972/2015
98 min, deutsch/italienisch, Booklet, Trailer, Bildergalerie
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-09-17)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.