Fulminante Einblicke in den kreativen Schaffensprozess
Wenn man schreibt, dann aus Liebe für einen oder mehrere konkrete Menschen, seien sie auch bereits verstorben. Das ist Ulrich Peltzers Credo als Schriftsteller und Dreh- und Angelpunkt seiner Herangehensweise an Geschichten. Geschichten, in denen er sich tatsächlich von jetzt auf gleich „mittendrin“ befindet, befinden muss, um sie zu entfalten, zu entwickeln, sich daran abzuarbeiten und sie letztendlich zur Reife zu gestalten.
Impulse und Grundhaltungen, die Ulrich Peltzer an der Frankfurter Universität im Wintersemester 2010/2011 als Dozent für Poetik in äußerst lebendiger, sprachlich teils überschäumender Form seinen Studenten nahebrachte, mit sicherlich tiefem und bleibendem Eindruck. Einen Eindruck, der nun in diesem Buch auch einem breiteren Publikum zugänglich wird, welches die Vorlesungen nun schwarz auf weiß auf Papier gebannt hat.
Ein leidenschaftliches Plädoyer für den Mut, mitten hinein zu gehen in das Leben, die Geschichten, die fast auf der Strasse liegen, die aufgrund eines Liedes, einer Begegnung, eines kleinen Erlebnisses plötzlich ihn umfangen. Und darauf warten, mit Sprachkraft herausgefeilt zu werden.
Mit Ernst verweist er in diesem Schaffensprozess darauf hin, wie wichtig das Wissen um die eigenen Traditionen, das literarische Fundament ist, auf dem man steht, frei nach Brecht, das man zurückfällt hinter die Traditionen, wenn man sie nicht kennt. Zwischen Traditionen und moderner Zerfaserung, zwischen Kitsch und Behaglichkeit gilt es dabei, die entsprechende Geschichte als Geschichte zu retten, sie zu bewahren vor der drohenden Belanglosigkeit.
Ziele, die Peltzer in sprachlich unnachahmlicher Weise, wie ein perlender Wasserfall, seinen Studenten nahebringt, moderne Begriffe dabei spielerisch mit einfließen lässt und einen rasanten Gang durch die Literaturgeschichte von Joyce über Brecht bis tatsächlich Huckleberry Finn vollzieht. Autoren, Figuren, Geschichten, die die Realität sprengen, die Leidenschaft des Lebens in den Raum setzen und Geschichten gestalten, die Sehnsucht aufnehmen und die Realität zu durchbrechen verstehen. Ein besonderes Anliegen Peltzers, mit der er sich in teilen gegen den literarischen Realismus zumindest ein stückweit abgrenzt.
Davon spricht Peltzer nicht einfach nur abstrakt, ein ganz besonderes Erlebnis wurde den Studenten und Hörern seiner Vorlesungen zuteil. Gegen Ende der Vorlesungsreihe hin verlässt Peltzer die, wenn auch mit Verve vorgetragene, theoretische und darstellende Ebene und wird ganz praktisch. Er lässt die Vorlesung in die Entfaltung und Gestaltung einer Erzählung, eines Romans übergehen und stellt so eindrucksvoll, quasi „live“ seinen eigenen Schaffensprozess in den Raum. Einen Prozess, der dann tatsächlich „mittendrin“ beginnt und sich vor den Ohren der Studenten und vor den Augen der Leser entfaltet, getreu Pletzers Herangehensweise, nicht vorher einen „Plot“ zu erstellen, sondern die Geschichte mit der eigenen kreativen Kraft sich aus sich selbst heraus entwickeln zu lassen.
Ein Buch, dass auf hohem Niveau einen anregenden und, in Teilen, mitreißenden Einblick in die Welt des kreativ schaffenden Autors mit klaren Grundhaltungen ermöglicht. Sprachlich lebendig und hochwertig vorgetragen, mit erstaunlichen Wendungen und der Möglichkeit, die Entstehung einer Geschichte mitten heraus tatsächlich mit zu erleben.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2011-02-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.