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Pier Paolo Pasolini - Rom, andere Stadt
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Pasolini, Pier Paolo:
Rom, andere Stadt

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(Bücher frei Haus)

Die verbürgerlichte plebejische Hauptstadt
„Es war eine maßlose, unordentliche, zerteilte, zersplitterte Metropole, aber doch eine große, chaotische, magmatische Metropole“, beschwert sich Pier Paolo Pasolini über „seine“ Stadt in einem Interview mit der römischen Tageszeitung „Il Messaggero“ im Jahre 1973. Pasolini lebte damals schon 23 Jahre in der italienischen Hauptstadt, er war von Bologna, wo er 1922 geboren wurde, dorthin gezogen, doch leider hatte sich die Stadt in den beiden Dekaden sehr zu ihrem Nachteil verändert, wie Pasolini behauptet:. „Doch von dem Moment an, als die vor allem durch die Massenmedien bewirkte Akkulturation vollendet war, entsprangen die Vorbilder des römischen Volkes nicht mehr ihm selbst, seiner eigenen Kultur, sondern wurden zu einem vom Zentrum gelieferten Modell. Und von diesem Moment an ist Rom zu einer der vielen italienischen Kleinstädte geworden. Kleinbürgerlich, engstirnig, katholisch, durchdrungen von Unechtheit und Neurosen.“

Von Tuguri, Gaunern und Proleten
Sich unter das Volk zu mischen, sei für das Bürgertum oder den römischen „Adel“ ohnehin nur eine „snobistische Übung“ gewesen, wie Pasolini seine Erlebnisse beschreibt und vielleicht schwing auch etwas Selbstkritik dabei mit, denn auch er selbst hat sich „unter das Volk“ gemischt, wenn er in langen Zyklen die „Tuguri“ oder die „Gauner von Rom“ beschreibt. Pasolini bleibt bei seinen Schilderungen stets ein großer Bewunderer der proletarischen Tradition der Stadt und des Volkes Roms, er macht in den Gesichtern der Slumbewohner der Stadt „pure Vitalität“ aus, die am Grund dieser Seelen läge und eine Mischung aus dem Bösen im Reinzustand und dem Guten im Reinzustand bedeute: „Gewalt und Güte, Bosheit und Unschuld trotz allem.“ Etwas könne man also doch tun, schreibt er, es sei nicht hoffnungslos und die Verbürgerlichung Roms müsste ihm doch recht sein, bedeutete sie doch auch eine Verbesserung der Lebensstandards seiner Bewohner.

Das Elend der Welt inmitten ihrer Hauptstadt
„Mit beinah vierzig Jahren stehe ich wieder im Zorn, wie ein Jugendlicher, der von sich nichts weiß, als dass er neue ist und gegen die Welt anstürmt. Und, wie ein Jugendlicher, erbarmungslos, schamlos, verheimliche ich diesen Zustand nicht: ich werde keinen Frieden finden, nie.“ Pasolinis Worte scheinen wie ein Glaubensbekenntnis des Künstlers ohne Heimat, eines Entwurzelten, der stets auf der Suche nach sich selbst, in den römischen Ruinen und Amphitheatern herumirrt, verzweifelt und zornig, unglücklich verliebt, voller Mitleid für die Prostituierten und Zuhälter, denen eine ehrliche Arbeit und ein Heim zu geben, wahrscheinlich gar nichts bewirken würde, da „ihr psychischer Zustand inzwischen pathologische Formen angenommen“ habe. Woher den Mut nehmen, diesen „Elenden“ zu helfen, wenn man sich selbst ebenso elend fühlt?

Vom Zeitalter des Brots hin zur bürgerlichen Entropie
In seinen schlimmsten Alpträumen müsse er Rom verlassen und wieder nach Norditalien zurückkehren, schreibt Pasolini. Das Übermaß an Schönheit in Rom sei geradezu traumatisch, aber wäre Rom die schönste Stadt der Welt, wenn sie nicht auch gleichzeitig die hässlichste Stadt der Welt wäre? Pasolini, der als 27-jähriger sexueller Außenseiter und Dichter seine Heimat vor allem in der Peripherie der Kapitale fand, dieser „Masochist und Pathetiker“ schreibt Dorothea Dieckmann in ihrem Nachwort, „war nie bereit, Leben und Kunst, Leidenschaft und analytischen Geist zu trennen.“ Er habe immer wieder betont, dass er sich dem Leben selbst hingegeben habe. Damals habe noch das „Zeitalter des Brots“ (Felice Chilanti) geherrscht, die Menschen konsumierten nur notwendige Güter. „Das war es vielleicht, was ihr armes und prekäres Leben so notwendig machte. Es ist klar, das überflüssige Güter das Leben überflüssig machen.“ (Pasolini in einem Brief an Italo Calvino) Später sollte er neben der Abschaffung des Fernsehens noch viel radikaler an die Studentenrebellion von 1968 verkünden: „Durch den Neokapitalismus wird die Bourgeoisie zur conditio humana schlechthin. (…) Es ist aus. Deshalb provoziere ich die heutige Jugend. Sie ist vermutlich die letzte Generation, die noch Arbeiter und Bauern sieht, die folgende wird sich von nichts mehr umgeben sein als von bürgerlicher Entropie.“
Die Herausgeber Dieckmann, Annette Kopetzki und Theresia Prammer haben eine wunderschöne Hommage an ein versunkenes Rom publiziert, das vor allem ein Rom des Regisseurs und Dichters Pasolini ist. Die Fotografien von Heribert List und Dorothea Dieckmann sind in S/W und zaubern eine authentisch römische Atmosphäre zwischen die Zeilen Pasolinis., der 1975 in Ostia, einem Vorort Roms am Meer, ermordet wurde und ein großes Werk des Neorealismus in Film und Worten hinterlassen hat. „Nichts hätte mich einst besiegen können“, schreibt Pasolini in dem Gedicht „Der Zorn“, „Ich war in meinem Leben eingeschlossen wie im Mutterleib, in diesem glühenden Geruch einer schlichten feuchten Rose. Aber ich habe gekämpft um daraus auszubrechen, dort in der bäuerlichen Provinz, zwanzigjähriger Dichter, immer immer voll verzweifelter Leiden und verzweifelter Freuden.“

pier paolo pasolini|
ROM,| ANDERE STADT
Hardcover mit Schutzumschlag, Fadenheftung
112 Seiten mit vielen Fotografien
Format 17 x 24 cm, Druck in Duotone
ISBN 978-3-86260-001-4 | EUR 24,90 | EUR(A) 25,70 | sFr. 37,90

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-04-18)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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