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Konrad Ott - Zuwanderung und Moral
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Ott, Konrad:
Zuwanderung und Moral

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(Bücher frei Haus)

Die vorliegende Lektüre hilft wesentlich die Vorgänge und Diskussionen des Sommers 2015 zu verstehen, in dem es zu einer nie gekannten Fluchtwelle nach Europa gekommen ist. Natürlich ist sowohl dem Autor und dem Rezensenten bewusst, dass in der aufgeheizten Stimmung vieles missverstanden werden könnte und deswegen sei hier eingangs ausdrücklich erwähnt und hervorgehoben, dass politisches Asyl natürlich ein Menschenrecht ist. Konrad Ott, Professor für Philosophie und Ethik der Umwelt an der Universität Kiel, unterscheidet beim der Diskussion um Zuwanderung – nach Max Weber - zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik deren Positionen quasi diametral entgegengesetzt und dennoch gemeinsam – durch Vergleich – zur Lösung der Aufgabe beitragen können. Denn wir wollen hier nicht von einer Flüchtlingsproblematik sprechen, sondern von einer Herausforderung und Aufgabe.

Auswanderung und Einwanderung

Auch wenn Max Weber, der beide Begriffe prägte, den Streit zwischen Gesinnungsethikern und Verantwortungsethikern grundsätzlich für „unaustragbar“ halten würde, stellt sich Konrad Ott der Herausforderung und stellt die Argumente beider Richtungen in zwei Kapiteln gegenüber. Zuerst ist vor allem begrifflich zwischen Migranten und Flüchtlingen zu unterscheiden, denn wer flieht, „habe keine sinnvollen Alternativen“ mehr. Politisch verfolgten Asyl zu gewähren und Kriegsflüchtlinge aufzunehmen ist - laut Genfer Konvention - sogar eine Verpflichtung, aber ein Menschenrecht auf Einwanderung existiert völkerrechtlich nicht. Wer es für sich in Anspruch nehme, wisse, dass es easy to claim and hardly to proove sei, dass er im Heimatland verfolgt werde. Der Syllogismus der Gesinnungsethik führe zur Forderung nach moralischem Heldentum als Pflicht, aber nicht als „übergebührliches (supererogatorisches) Verdienst“, so Ott. Was dabei allerdings vergessen werde, sei die Tatsache, dass das Geschäftsmodell „Menschenschmuggel“ durch die Präsenz der Retter geradezu angekurbelt werde und das „Investitionsmodell Flüchtling“ in den Herkunftsländern weiterhin praktiziert werde, da es eben erfolgreich sei. Ein für manche sehr lukrativer moral hazard, wie Ott bemerkt.

Investitionsmodell Flüchtling

Konrad Ott belegt durch ein einfaches Rechenmodell, dass ein Familienverband, der in der Lage ist ein Schleuserhonorar von durchschnittlich 8000€ aufzubringen, diese „Investition“ in 30-40 Monaten wieder herinnen hat (returns of investment), ab dann bewege man sich schon in der Gewinnzone. Auch die Herkunftsländer hätten deswegen kein Interesse an Rückführungen, weil auch ihnen dabei wertvolle Einnahmen verloren gingen. Wenn also möglichst viele Flüchtlinge wieder repatriiert werden würden, dann stelle sich dem Familienverband des Herkunftslandes eine rationale Portfolio-Entscheidung: Einsatz und Risiko werde diversifiziert und entsprechend der returns of investment eben woanders investiert, nämlich im Heimatland. Wenn also das „ultra posse nemo obligatur“ erreicht sei, könne man niemanden in den Ankunftsländern zwingen den Wohlfahrtsstaat mit Flüchtlingen zu überlasten oder gar zum Einsturz zu bringen. Der eudaimonische Grenznutzen zusätzlicher Migration tendiere ohnehin gegen Null, da wir ja schon multikulturell genug seien. In Bezug auf prudentielle (klug, besonnen, wohlüberlegt) Wohlfahrtsgründe könne eine Zuwanderung allerdings durchaus volkswirtschaftliche Vorteile bringen, aus diesem Grund treten etwa auch Neoliberale für eine Zuwanderung ein, denn der dumping Sektor der Beschäftigung werde durch Migration noch billiger.

Plastischer und nomadischer leben?

In einem kritischen Rekurs auf Vertreter der Neuen Linken, zitiert Konrad Ott auch den slowenischen Philosophen Zizek, den er als Gesinnungsethiker bezeichnet, und dessen Aufruf, plastischer und nomadischer zu leben - der dann von der Linke dazu umgemünzt wurde die Sedentaristen (Seßhaften) und nicht Nomaden als eigentliches Problem zu lokalisieren – wird von Ott wohlgefällig zitiert und seziert. Auch mit der vermaledeiten „Öko-Moral“ sei es wohl vorerst mal aus, denn Flüchtling und Migranten hätten einen Nachholbedarf an Konsumgütern, was einen erhöhten Ressourcenverbrauch – also Ökologie adé – zur Folge habe. Migration werde als Form des globalen Klassenkampfes gesehen und von der Linken deswegen begrüßt, um die Herrschaft der bürgerlichen Klasse aus den Angeln zu heben. Dass dabei aber auch die Flüchtlinge und Migranten für eigene politisch Zwecke instrumentalisiert werden ist wohl ebenso wenig zielführend, wie tatsächlich politisch Verfolgten die Einreise zu verwehren.

Im Anhang befindet sich ein Glossar mit den wichtigsten Ausdrücken des modernen Vokabulars des neuen Milleniums: congestion, degrowth, ius solis, overridingness, das Sorites-Problem (Paradoxie des Haufens), Suffizienz, Xenophobie. Alles in allem: ein ausgewogener, interessanter Beitrag zu einer überhitzten Diskussion.

Konrad Ott
Zuwanderung und Moral
[Was bedeutet das alles?]
Originalausgabe, 4. Aufl. 2017, 94 S.
ISBN: 978-3-15-019376-1
Reclam Verlag
6,00 €

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2017-11-26)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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