„Ich habe einen Vater.
Ich habe eine Mutter.
Ich habe einen Bruder.
Ich fühle nichts.“
Als ich diese Worte auf der inneren Umschlagsseite des vorliegenden Buches des unter dem Pseudonym Martin Osterberg schreibenden Berliner Journalisten las, da schüttelte es mich bis in mein Innerstes. Denn haargenau fand ich mit diesen vier Aussagesätzen beschrieben, wie es mir heute mit meiner Herkunftsfamilie geht, mit der ich genau wie der Autor schon lange keinen Kontakt mehr habe.
Er beschreibt in Worten, die mich bei der Lektüre immer wieder erkennend und mitfühlend zusammenzucken ließen, seine unglückliche Kindheit in einer heilen Familie. Es ist die Geschichte eines langen Kampfes um emotionale Selbstbestimmung. Selbst als er selbst eine eigene Familien gründet, kann er sich von dem kalten Schatten seiner Herkunftsfamilie nicht lösen und erst jetzt, nachdem seine eigenen beiden Kinder schon erwachsen sind, findet er die Kraft, sich schreibend und erinnernd von seinen Eltern und deren Bild von ihm zu lösen.
Eine ganz erstaunliche Befreiungsgeschichte, die Menschen Mut machen kann, die sich in einer ähnlichen Zwickmühle befinden. Allein in meinem direkten Umkreis kenne ich viele Menschen, die selbst schon über sechzig sind, und denen die noch lebenden oder auch schon toten Eltern mit ihren Ansprüchen und Normen und Bewertungen das eigene Leben vergällen.
Und das Buch kann für alle die ein wichtiges Lehrstück sein, die in ihrer eigenen Familie mit ihren Kindern so leben wollen, dass ihre Kinder dereinst nicht genauso urteilen müssen wie Martin Osterberg:
„Ich habe einen Vater.
Ich habe eine Mutter.
Ich habe einen Bruder.
Ich fühle nichts.“
Martin Osterberg, Das kalte Haus, Piper 2017, ISBN 978-3-492-05789-9
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2017-04-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.