Schon in den achtziger Jahren als junger Theologe habe ich mich ausführlich mit den Forschungen des Heidelberger Psychologen Ludwig Janus zur pränatalen und perinatalen Psychologie beschäftigt. Auch einige Bücher von Stanislav Grof insbesondere das zur „Topographie des Unbewussten“ weckten mein Interesse.
Schon damals wurde im Zusammenhang mit diesem neuen Forschungsgebiet immer wieder auf die Bedeutung des natürlichen Geburtsvorgangs für die Entwicklung eines Menschen hingewiesen und das „Herausreißen“ des Babys aus dem Mutterleib durch einen Kaiserschnitt ohne gravierende medizinische Gründe als negativ für die seelische Entwicklung des Kindes angesehen.
Doch in den Jahrzehnten seither ist der Anteil der medizinisch nicht notwendigen Kaiserschnitte bei Geburten überall auf der Welt, insbesondere aber in den Industrieländern des Westen dramatisch gestiegen. Wunschtermine von Müttern werden berücksichtigt, Geburten an Wochenende vermieden und ängstlichen Frauen soll der Schmerz und die Wehen der Geburt erspart werden.
Den so in die Welt gerissenen Kindern wird auf diese Weise der erste und für das weitere Leben so wichtige „Kampf“ vorenthalten. Meine privaten, natürlich überhaupt nicht repräsentiven Recherchen in den letzten Jahrzehnten ergaben immer wieder, dass bei Kindern, die mir als wenig durchsetzungsfähig, eher lethargisch und wenig resilient erschienen, entsprechende Nachfragen immer ergaben, dass sie per Kaiserschnitt zur Welt kamen.
Michael Odent, eine ausgewiesene Koryphäe der Geburtshilfe zeigt nun in seinem neuen Buch, welche verhängnisvollen Folgen diese Vermeidung natürlicher Geburten aus Bequemlichkeit und Profitinteresse nicht nur für die einzelnen Menschen hat, sondern auch für die weitere evolutionäre Entwicklung der Menschheit als Ganzes.
Wenn nämlich das bei der normalen Geburt ausgeschüttete natürliche Oxytocin der Mutter, das Hormon, das neben der Geburt auch die Liebesfähigkeit des Menschen steuert, durch künstliche Wirkstoffe ersetzt wird, fehlt den so geborenen Menschen Entscheidendes. Wenn der Geburtsweg durch das Becken der Mutter fehlt als erster dramatischer und gewonnener Kampf, wird dieser Mensch ein anderer werden, als der, der es durch den Geburtskanal geschafft hat.
Diese Menschen, denen es schon zu Beginn ihres Lebens leicht gemacht wurde, werden eigenen Kindern, die selbstverständlich zu einem hohen Prozentsatz wieder durch Kaiserschnitt geplant auf die Welt gerissen werden, kaum das vermitteln können, was ihnen schon zu Beginn ihres Lebens vorenthalten wurde.
Odent zeigt an vielen Studien, dass es unzählige Krankheiten und Anfälligkeiten gibt, die einen signifikanten Zusammenhang haben mit der Kaiserschnittgeburt derer, die an ihnen leiden.
Es geht um nicht weniger als die Zukunft der Menschheit. Das Buch ist ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, die Geburt wieder in ihre natürlichen Bahnen zu lenken.
Ich möchte noch ergänzen: genauso wichtig ist die Zeit der Schwangerschaft selbst, die von vielen werdenden Eltern auf fahrlässige Weise nicht wirklich ernst und wichtig genommen wird. Was sich in diesen neun Monaten nicht entwickeln kann oder darf, kann niemals mehr im Leben nachgeholt werden.
Michael Odent, Generation Kaiserschnitt, Kösel 2014, ISBN 978-3-466-34599-1
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-02-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.