Im Herbst, wenn die Blätter von den Bäumen fallen und Allerheiligen vor der Türe steht gedenkt man gerne wieder den Toten und was eignet sich dafür besser, als Friedhöfe zu besuchen auf denen Prominente beerdigt sind. So etwas ähnliches dürfte sich auch der
international gefeierte und vielfach prämierte niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom (geb. 1933) gedacht haben, als seine berühmte Pilgergeschichte durch die Weltliteratur „Tumbas – Gräber von Dichtern und Denkern“ ersonnen hatte, in der er
seine Leser an die Gräber verstorbener Dichter und Denker führt, um mit ihnen in einen Dialog zu treten. An keinem Ort fühlt man sich den Toten bekanntlich näher, als an ihren Gräbern, wo Nooteboom ihre Worte klarer zu vernehmen vermeint, als irgendwo sonst.
Friedhöfe in fünf Kontinenten
Auf diese Weise ist eine ganz persönliche Literaturgeschichte entstanden, in der Cees Nooteboom seine Gedanken und Erinnerungen an die verstorbenen Helden in einzelnen Essays festhält. Nootebooms persönlicher literarischer Olymp reicht von Vergil bis Thomas Bernhard, seine Worte werden von Fotos der der Photographin Simone Sassen begleitet und stimmen ebenso melancholisch wie die Texte auf den kommenden Herbst ein. Cees Nooteboom besucht auch den Pariser Friedhof Père Lachaise, wo Balzac und Apollinaire liegen, oder Montparnasse, auf dem Baudelaires Grab zu finden ist, oder auch den berühmten Cimiterio de San Michele in Venedig, wo Joseph Brodsky beerdigt ist. Aber auch auf Inseln und Berggipfel, einsame Kirchhöfe und private Gärten jenseits der öffentlichen Wahrnehmung hat es die beiden Nekrophilie-Forscher verschlagen. Sie haben auch verschiedene Kontinente und Kulturen bereist, unterschiedliche Religionen und Kultstätten ausgemacht, um ihren geliebten Toten ein letztes Geleit zu geben.
In guter Gesellschaft
„Unfähig, in Venedig eines natürlichen Todes zu sterben“, wird hier Joseph Brodsky nebst zwei Fotos seines Grabes auf San Michele zitiert, das die beiden zuletzt 2004 besuchten, als das Grab schon einen festen Grabstein aber wenige Blumen trug. „Ich hatte einige seiner Bücher gelesen und niederländische Inszenierungen seiner Stücke gesehen“, schreibt Nooteboom über den österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard, den er schon mal im Café Bräunerhof heimlich beobachtet hatte. „Thomas Bernhard, das heißt Schicksal, Unterwerfung, Demütigung, Beschimpfung, Größenwahn, widerwärtige Kriecherei, endloses Nörgeln über ein Detail (...)“, weiß Nooteboom treffend zu beschreiben und es überrascht einen zu lesen, dass ausgerechnet dieser Ungustl gar nicht allein in seinem Grab in Grinzing liegt, sondern Thomas Bernhard das Grab mit einem Ehepaar teilt. Am Grab Ludwig Wittgensteins wiederum sieht der Autor ein Gefäß mit Münzen stehen. „Das machen die Japaner“, erfährt er, „die halten ihn für einen buddhistischen Heiligen“. „Das mit der Leiter kennen Sie bestimmt, oder?“ „?“ „...wenn man oben angekommen ist, muss man sie wegtreten“. (Tractatus 6.54)
Cees Nooteboom
Tumbas
Gräber von Dichtern und Denkern
Mit Photographien
von Simone Sassen
328 Seiten, 115 Abb. in Duotone
Gebundene Ausgabe
ISBN 978-3-8296-0771-1
€ 28.-, (A) € 28.80, CHF 32.20
[*] Diese Rezension schrieb: jürgen Weber (2016-09-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.