Das Schönste steht am Schluss: nämlich das Ende, das den Anfang symbolisiert. Ganz in der Manier von „Memento“ dem Guy Pearce Film von Christopher Nolan aus dem Jahre 2000 führt auch die Handlung dieses Films vom Ende an den Anfang zurück. Wer sich durch die erste, sehr hässliche halbe Stunde durchquält, wird am Ende dann doch noch eine Space Odyssey erleben, zumal die Kamera den ganzen Film hindurch ziemlich „schräg“ gehalten wird. Die Handlung beginnt mit einem ziemlich hässlichen, fetten Mann, der seine Perversitäten erzählt, denn er ist Päderast und leidet auch unter dem ebenso genannten „westlichen Syndrom“: er hat es mit seiner Tochter gemacht und bereut es kein bisschen, denn es gäbe keine Untaten, sondern nur Taten.
Le temp destruit tout
Die Kamera schlenkert und wackelt und der nächste Clip zeigt einen Krankenwagen und eine vermeintliche Leiche, die hineingeschoben wird, kurz blitzt der Name des Lokals auf, in dem das Unglück geschah: Rectum. „Randale im Rectum“ also, und das nicht zum ersten Mal, wie einer der Erzähler süffisant bemerkt. Die Kamera gleitet weiter durch dark rooms und homoerotische Szenen, die im Halbdunkel nicht nur Verhülltes, sondern auch Entblößtes zeigen. Enervierend alarmierende Musik verleidet einem die Suche, bis man endlich auszumachen beginnt, warum es geht. Er, der Protagonist, der zuvor auf ein Sanitätsbett gehievt wurde, sucht jemanden und er ist nervös, aufgeregt und dann immer wütender und verzweifelter. Sein Kollege schlägt mit einem Feuerlöscher auf ein Gesicht ein, bis nichts mehr davon übrig ist, nur mehr Brei, und alle Besucher des „Rectums“ sehen zu, vergnügt, möchte man fast hinzufügen.
Gewalt und Vergewaltigung auf der Haut spürbar
„Ich träume manchmal, dass ich schlafe“, sagt Pierre (Albert Dupontel ) dann vergnügt auf einer Party zu seiner Ex-Freundin, die jetzt mit Markus (Vincent Cassel) zusammen ist, seinem Freund, dem Protagonisten des Films, was ihn natürlich nicht davon abhält, sie weiter zu hofieren, denn schließlich ist es ja auch Monica Bellucci, die seine Freundin darstellt. Markus ist auf Drogen und die Protagonistin, Alex, ist so von ihm abgestoßen, dass sie alleine nach Hause geht und in einem Tunnel vergewaltigt wird. Irgendwie ist es auch die Schuld von Markus, denn hätte er keine Drogen genommen, wäre sie nicht von der Party abgehauen. Die vermeintliche Schuldfrage ist es wohl auch, die Markus zur schieren Verzweiflung treibt und ihn schließlich auch auf die Bahre legt. Der Film zeigt brutale Gewalt in verwirrenden Kameraeinstellungen und vermittelt auf diese formale Weise auch den Inhalt. Form follows function: man spürt die Vergewaltigung und Gewalt beinahe am eigenen Leibe, die Verwirrung der Protagonisten und das Drama wird durch die Rückwärtserzählung geradezu auf der Haut spürbar.
„Irreversibel“ ist auf Platz 5 der Liste der kontroversiellsten Filme der Cinematographie und das nicht ohne Grund. Sinnlose, scheinbar grundlose Gewaltdarstellung und damit auch -.verherrlichung ist nur einer der Vorwürfe, die sich der Regisseur auf den Filmfestspielen in Cannes im Jahre 2002 gefallen lassen musste. Manchen Zusehern wurde bei der Vorführung sogar schlecht, aber nicht unbedingt wegen der Gewalt, sondern auch wegen den wilden Kamerafahrten. Eigentlich ist die einzige ruhige Kameraführung die Vergewaltigung selbst: dort hält die Kamera volle zehn Minuten drauf und wohl gerade deswegen wirkt die Szene so drastisch und gewalttätig, weil sich die Kamera eben nicht bewegt. Das Schrecklichste wird so festgehalten und brennt sich als furchtbare Erinnerung in einer immer chaotischer werdenden Welt ein, der Taumel in dem sich Markus durch den Film bewegt, macht nicht nur die Wut des Protagonisten spürbar, sondern auch den Mut des Regisseurs.
www.atmedien.de
GASPAR NOÉ
Monica Bellucci, Vincent Cassel, Albert Dupontel
IRREVERSIBEL
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-10-17)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.