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Anais Nin - Die Intensität des Lebens
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Nin, Anais:
Die Intensität des
Lebens

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(Bücher frei Haus)

„Wir sind alle Waisen. Du wirst ein Kind ohne Vater sein, wie ich ein Kind ohne Vater war“, schreibt Anais Nin in einem inneren Dialog mit ihrer später totgeborenen Tochter, einer Frühgeburt. „Ich liebe denn Mann als Schöpfer, als Liebenden, Gatten, Freund, aber zum Mann als Vater habe ich kein Vertrauen.“ Diese beiden Sätze umreißen wohl am besten das ganz persönliche Drama der Schriftstellerin Anais Nin, Weggefährtin von Henry Miller, Antonin Artaud, Rene Allendy, Otto Rank u.v.a. Als Kind hatte Anais` Vater, ein Konzertpianist und Don Juan der alten Schule, seine Familie im Stich gelassen und so wanderte die Mutter mit den Kindern nach Amerika aus, um ihm so sich und seine Kinder zu entziehen. Die Mutter lehrte die Kinder eine andere Sprache, das Englische, schickte sie auf amerikanische Schulen und brach den Kontakt zum Vater ab, Anais Nin jedoch begann in jenen Jahren ihr Tagebuch, (…) das sie ihr Leben lang begleiten sollte. „Das Tagebuch wurde als ein Reisetagebuch und als Bericht für meinen Vater begonnen. Ich schrieb es für ihn und wollte es ihm schicken. Es war in Wirklichkeit ein Brief. Es war auch eine Insel, in der ich mich in einem unbekannten Lande retten konnte.“ Sie hat mehrere tausend Seiten davon geschrieben und freimütig bekennt sie, dass dieses Tagebuch, das beim Nymphenburg Verlag in mehreren Teilen erschienen ist, ein ewig währender Dialog mit ihrem Vater war, von dem sie sich nur unfreiwillig getrennt hatte. „Immer wenn mich mein Vater traurig macht, schreibe ich. Wenn ich mich nach ihm sehne, schreibe ich. Wenn ich etwas bereue, schreibe ich.“

Tagebuch als Droge und Therapie
„Dieses Tagebuch ist mein Kief, Haschisch, meine Opiumpfeife. Es ist für mich Droge und Laster. Statt einen Roman zu schreiben, lehne ich mich mit diesem Buch und einer Feder zurück und träume und schwelge in Spiegelungen und Brechungen.“ Selbst der Psychoanalytiker Otto Rank, ein Schüler Freuds, vermochte es nicht, der Schriftstellerin dieses Laster auszureden, sie zog es allen anderen Vergnügungen vor, hatte den Drang danach immer zu befriedigen, wie eine Drogensucht. „Nicht das, was ist, erweckt die Klage, sondern das, was hätte sein können, was vorgestellt, erwartet, erträumt wurde; und daher klingt die Klage so unverständlich.“, schreibt Nin an einer Stelle und man hält bei diesem Gedanken tatsächlich inne, verschanzt sich hinter ihm und denkt selbst darüber nach, was hätte sein können. Immer wieder versucht Anais Nin „ohne Krücken zu stehen“, doch ihr Atem ist zu kurz, es gibt keine Welt ohne das Tagebuch. „Das Tagebuch ist Ihre letzte Verteidigungsstellung gegen die Analyse. Es ist wie eine Verkehrsinsel, auf die Sie sich retten wollten.“, schimpft Rank mit ihr und verlangt, dass sie ab sofort nur mehr ein Notizbuch und keine Tagebuch mehr führen solle, denn es halte sie von der wirklichen, der schöpferischen, kreativen Arbeit ab, nämlich Bücher, Romane zu schreiben.

Dass ausgerechnet ihre Tagebücher zu ihrem Lebenswerk werden sollten und ihr Prosawerk (z.B.: „House of Incest“, „Winter of Artifice“) dagegen leider verblasste, das wussten damals wohl beide nicht: weder die Patientin, noch der Analytiker (am Ende dreht sich übrigens auch dieses Verhältnis um). Kaum ein Schriftsteller wird mit diesem Genre so schnell assoziiert wie Anais Nin und in dieser Kunst scheint sie es wirklich zu etwas gebracht zu haben, wie die Publikationen des Nymphenburger Verlages zeigen. Auch wenn heute, wie etwa in der letztwöchigen Literaturausgabe der ZEIT berichtet wird, wieder Tagebücher erscheinen (Susan Sontag, Roland Barthes, Martin Walser) kann man diese Textform ohne Anais Nin wohl kaum denken. Aber was macht diese Tagebücher eigentlich so einzigartig? Was unterscheidet sie von den Aufzeichnungen anderer?

Sie brachte sogar Artaud zum Weinen
Natürlich hilft der Umstand, dass sie zu einer Zeit in Paris lebte, als diese Stadt der Nabel der Welt war und sie nicht nur so illustre Persönlichkeiten wie Marcel Duchamp und andere Surrealisten kennen lernte, sondern sogar von einigen von ihnen persönlich angebetet wurde. Einer davon war Antonin Artaud, den sie zwar nie erhörte, jedoch stets als geistige Anregung bewunderte. Für ihn findet die Schriftstellerin Nin interessante Beschreibungen, die die Person und den Menschen und nicht nur den Künstler quasi wiederauferstehen lassen: „Ich sah, dass er die Revolution wünschte, die Katastrophe, einen Zusammenbruch, in dem sein unerträgliches Leben enden würde.“ Als Artaud während einer gemeinsamen Taxifahrt die Passanten zusammen schreit und zur Revolution auffordert, oder sich bei einer Veranstaltung an der Sorbonne zu einem Pestkranken verzerrt, sich krümmt, auf dem Podium an dieser Krankheit quasi stirbt, beschreibt die Nin ihn stets voller Respekt als einen Menschen, der an seinem eigenen Wahnsinn zugrunde geht und nicht an der Welt als solcher. „In seinen Bewegungen ist eine Spannung, eine Intensität, eine Heftigkeit, ein Fieber, das in seinem Gesicht als Schweiß ausbricht.“ Artaud sucht in seine Verzweiflung nach einem Double, das seinen Wahnsinn teilt, das fühlt auch Nin, aber von Artaud berührt werden, hieße „mit dem Gift vergiftet werden, das ihn zerstört“. „Noch etwas verbindet uns eng:“, entgegnet Artaud ihr in einem Brief, „Ihre Art zu schweigen. Ihr Schweigen ist wie das meine. Sie sind der einzige Mensch, vor dem ich mich meines Schweigens nicht schäme. (…)Als wir auf dem Bahnsteig standen und ich zu Ihnen sagte: `Wir sind zwei verlorene Seelen im unendlichen Raum´, hatte ich dieses Schweigen gespürt, dieses rührende Schweigen, das zu mir sprach und mich fast vor Freude weinen machte.“

Ekstase zum Entwöhnen
Anais Nin schreibt in ihrer Lebensbeichte auch immer wieder über Henry Miller und das gemeinsame Dreiecksverhältnis mit dessen Geliebter, June. Erotische Szenen werden übrigens ausgespart, aber nichtsdestotrotz ist Nins Wortwahl umso schonungsloser, wenn sie den Macho Miller bloßlegt, dem es mehr um sein Werk geht, als um die Wahrheit. „Henry kann nur in seinen Büchern kämpfen. In seinem Leben läuft er davon.“ Natürlich geht es auch immer wieder um ihr Frau sein, ihr Bohemeleben, ihre Auseinandersetzung mit dem Vater, der Psychoanalyse und der Liebe. „Man liebt immer den Menschen, der einen versteht“, schreibt sie und dabei denkt sie – anders als Miller – nicht an die körperliche Liebe. „Ich gebe ihm Tiefe, er gibt mir Körperlichkeit“ lautet die Gleichung der Beziehung denn alsbald. „Ich möchte nur noch für die Ekstase leben. Die kleine Dosis, die gemäßigte Liebe, die Halbschatten lassen mich kalt. Ich liebe das Außerordentliche.“ Die Vorstellung Liebe müsse verdient werden, teilt sie mit ihrem Psychiater Allendy, und dann müsse man zusehen, wie diese Liebe an Leute verschenkt werde, die nichts dafür tun. Aber: „Die Einsamkeit zu akzeptieren (wie Allendy es tun will) ist ein Schritt auf den Tod zu“. Dennoch ist am Ende die einzige Zuflucht, die Anais Nin bleibt: ihr Tagebuch. Die Vorbedingung der schöpferischen Persönlichkeit sei also nicht nur, sich selbst zu akzeptieren, sondern sich in der Tat zu glorifizieren, schreibt Anais Nin. Das dürfte ihr in ihren Tagebüchern auf eine besonders authentische Art und Weise tatsächlich gelungen sein. Außerdem sind bei Nymphenburg noch folgende Tagebücher von Anais Nin erschienen: „Das Leben in seiner größten Intensität“, sowie „Wir steuern den Kurs unserer Ehe nur mit tiefer Liebe. Die frühen Tagebücher 1923-1927“ als Hörbuch, gelesen von Gaby Dohm, oder Buch.

Anaïs Nin
Die Intensität des Lebens
Die Tagebücher 1931-34
Herausgegeben von Gunther Stuhlmann
Aus dem Amerikanischen von Herbert Zand

2003
www.nymphenburger-verlag.de
ISBN: 978-3-485-00975-1
364 Seiten
24,90 EUR D / 25,60 EUR A / 43,70 CHF

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-03-23)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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