“My boy, you will end up in the gutter one day“, soll Newtons Vater über seinen später zum wohl berühmtesten deutschen Fotografen avancierten Sohn Helmut einmal gesagt haben. Und wenn man sein tragisches Schicksal - er starb bei einem Autounfall - bedenkt, mag sein Vater vielleicht sogar Recht gehabt haben. Aber: Newton war bereits 84 Jahre alt und hatte eine steile Karriere hinter sich. Am Beginn dieser Karriere stand dieses – nun von Schirmer Mosel neu aufgelegte - Buch mit dem Titel „White Women“, die man übrigens sowohl in Farbe als auch Schwarz/Weiß bewundern kann, „weiß“ bleiben sie ohnehin.
„Die hochmütige Arroganz, das blasierte, aristokratische Gehabe der Newton`schen Frauen bezeugen ein Gefühl kühler Distanziertheit zur Welt, in der sie leben. So sind die Modelle ihr eigenes Paradoxon.“, schreibt Philippe Garner, seinerzeit Leiter der Photoabteilung von Sotheby`s, in der der Publikation beigelegten deutschen Übersetzung des Buchtextes. Helmut Newton bringt durch seine Fotos die Welt der Schwerkraft durcheinander, ganz wie es Isaac Newton, der berühmte Physiker, wohl gemeint hatte. Denn Newtons Frauen zeigen das schwache Geschlecht zwar nackt, aber dennoch stark wie nie. Allen Sexismus- und Voyeurismus-Vorurteilen zum Trotz muss man doch zugeben, dass Newtons Modells über den Mann triumphieren und das trotz ihrer vermeintlich nackten Zerbrechlichkeit. Viele mögen seinen Bildern Kälte, sogar Grausamkeit, vorwerfen, aber vielleicht zeigt Newton ja doch nur das, was er in der Welt wahrnimmt, wenn auch mit etwas krasseren Farben und besser durchgestylt. Zu seinen Modells gehörten immerhin auch Filmschauspielerinnen und tatsächliche Modells, deren Auswahl wohl von der Realität etwas wegführen. Inszenierung heißt aber nicht unbedingt Künstlichkeit. Und Newton beweist, dass das Objekt seiner Begierde auch seine große Bewunderung für die Frauen der Welt verrät. Zumindest für die 1,80 großen blonden und schlanken Topmodells.
Das perfekte Design seiner Fotos erinnere fast an Architekturzeichnungen, wie Philippe Garner fortsetzt. Deutsche Präzision, mit der er geometrische Versatzstücke in gelungenen Kontrast zu den opulenten Kurven, der Vitalität der Frauen, setzt. Man könnte es auch als Kampf zwischen Mensch und Maschine oder besser Frau gegen Mann begreifen, was sich dem Betrachter bei Newtons Bildern erschließt. Brutale Acrylfarben und glasharte Polituren zeichnen die Konturen so hart wie nur möglich, auch an den Frauen ist außer ihren Kurven eigentlich nichts Menschliches mehr. Verdinglichung des Objekts der Begierde? Macht Mann Frau zu seelenlosen Objekten, die allein seiner Lust- und Triebbefriedigung zu dienen haben?
Zu einigen Fotos hat Helmut Newton seine Kommentare darunter geschrieben, die ebenfalls in Französisch und Deutsch übersetzt wurden und auf dem beigelegten Textblatt zu finden sind. Mitunter geben seine Bemerkungen auch Aufschlüsse über das, was er in seinen Fotos gesucht hat resp. herstellen wollte: „Die Frauen, die ich photographiere, müssen eine gewisse Bereitschaft ausstrahlen. Eine Frau, die den Anschein erweckt, erreichbar zu sein, ist für mich sexuell viel aufregender als eine, die sich vollkommen verschließt. Diese Bereitschaft zu spüren, finde ich erotisch.“ Ist es vielleicht das, was die Spannung seiner Bilder ausmacht? Dass trotz der Atmosphäre der technischen Reproduzierbarkeit „seine“ Frauen eine gewisse Verfügbarkeit bei gleichzeitiger Arroganz ausstrahlen? Newton wehrt sich gegen den Vorwurf, seine Bilder seien gefälscht, nur weil sie „arrangiert“ seien. Er nehme seine Inspiration schließlich aus der Wirklichkeit, die er mit wachem Auge durchschreite, so etwa das Mädchen im Eiffelturm-Höschen: solche Szenen spielten sich in der Lover`s Lane im Pariser Bois de Boulogne jeden Tag ab, wenn dort Auto für Auto aneinandergereiht der nicht ganz so heimlichen Liebe gefrönt werde.
Andere von Helmut Newton bevorzugte Motive zeigen immer wieder Frauen an Swimming Pools oder im Wasser wie Engel treibend. Diese Sujet-Wahl mag wohl mit Newtons eigener Vergangenheit als Meisterschwimmer zusammenhängen, tatsächlich liebte er aber vor allem auch die starken Farbkontraste und langen Schatten, die ein Arbeiten in der Mittagssonne am Pool ermöglichen. Ein anderes Thema spielt auch Gewalt, zumeist sind es Frauen, die ihre Männer schlagen oder ein Mann, der vor den langen Beinen einer Frau mit seinem Whiskyglas in der Hand einem Herzinfarkt erlegen sein könnte. Newton zeigt immer wieder, dass Frauen sehr stark sein können und am Ende die Männer es sind, die ihnen zu Füßen liegen und vor ihnen krepieren. Manche eben mit mehr, manche mit etwas weniger Stil.
Helmut Newton war 84, als er im Januar 2004 nach einem Verkehrsunfall in Los Angeles starb. Der geborene Berliner musste vor den Nazis flüchten, sich in Singapur als Bildreporter durchschlagen, bis er in Melbourne ein eigenes Photostudio eröffnete und 1956 seine ersten Aufträge von der australischen Vogue bekam. „White Women“ ist das legendäre erste Buch von Helmut Newton, das seit dem Erscheinen, 1976, nichts von seiner Brisanz und Attraktivität verloren hat. Sehen Sie selbst – ab sofort ist White Women wieder zu haben.
Helmut Newton
White Women
Mit Texten von Philippe Garner und Helmut Newton.
Englische Ausgabe mit deutscher und französischer Textbeilage
2010
Schirmer/Mosel www.schirmer-mosel.com
128 Seiten, 79 Tafeln in Farbe und Duotone,
23,5 x 31,5 cm, gebunden.
ISBN: 9783829604420
39,80.-
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-03-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.