Ähnlich intensiv Gegenstand historischer Forschung und geschichtlicher Erinnerung wie der Nationalsozialismus selbst mit all seinen, oft grausamen, Spielarten, ist auch der Widerstand gegen eben jenes Regime zwischen 1933 und 1945.
Eine der bekanntesten Gruppen (und letztlich jene, die von Beginn an über die gesamte Zeit des dritten Reiches Widerstand geleistet haben), ist die „Rote Kapelle“. Ein übrigens irreführender Name, zurückgehend auf ein Bezeichnung durch die Gestapo, der die Gruppe darauf reduzierte, als Kommunisten einen „verräterischen Gesang“ allein nach Russland auszusenden. Bei weitem nicht das reale Bild der roten Kapelle, allein dafür gebührt Anne Nelson Dank, diesen unpassenden Begriff zurecht zu rücken.
Ganz im Gegenteil war die weit verzweigt und an vielen Orten damit beschäftigt, Sand ins Getriebe der Vernichtungsmaschinerie zu streuen. Ein Anliegen, dass beständig Gefahr für das eigene Leben mit sich brachte. Gerade zum Ende des dritten Reiches hin sorgte allein Adolf Hitler persönlich für die Unterzeichnung und Vollstreckung von mehr als 40 Todesurteilen. Todesurteile, die auf grausamste Weise vollstreckt wurden. An Fleischerhaken aufgehängt sollten die Mitglieder der roten Kapelle einen möglichst qualvollen Tod erleiden. Eine besondere Art der Hinrichtung, die vor allem aus dem tiefen Erschrecken der Machthaber zu erklären ist, dass im Rahmen der Gruppe nicht „Gesindel und Verbrecher“ anzutreffen waren, sondern in der Gesellschaft des dritten Reiches fest verwurzelt geglaubte Menschen, die Elite, ein Kern des Bürgertums.
Eine miteinander verbundene Elite, die relativ offen untereinander agierte, in deren Augen der beste Schutz vor Verrat der der Freundschaft untereinander war. Ein Schutz, der lange seinen Funktion erfüllte und dennoch zum Ende hin Risse zeigte und letztlich für viele nicht ausreichte, sie vor Verurteilung und Hinrichtung zu schützen. Eine Entwicklung, die Anne Nelson in empathischer und mitfühlender Sprache vor Augen führt und durch ihre Art der persönlichen Darstellung den Leser ebenfalls mitbeteiligt am Schicksal dieser Menschen.
Weit verzweigt waren die Tätigkeiten der Gruppe. Harro von Schule-Boysen lieferte militärische Geheimnisse, wies im Vorfeld auf den Überfall auf die Sowjet hin. Andere verhalfen Juden zur Flucht, besorgten wirtschaftliche Informationen, militärische Daten und Rüstungspläne, die an die alliierten Streitkräfte und an die Sowjet weitergegeben wurde.
In romanhafter Form taucht der Kern der Gruppe im Buch zutiefst menschlich durch die Autorin in Szene gesetzt, auf. Die zusammenhaltende Kraft dieser Form des Widerstandes durch persönliche Beziehungen und Freundschaften hat Anne Nelson hervorragend erfasst und im Buch ebenso hervorragend vermittelt. Eine hohe Identifikation des Lesers ist die Folge, der das Schicksal der beteiligten Familien intensiv mitverfolgt und mit erleidet. Nicht nur trockene Fakten und Widerstandserfolge wie Misserfolge führt Anne Nelson damit vor Augen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut mit ihrer damaligen Lebensweise des bürgerlichen (und in Teilen auch großbürgerlichen) Lebens.
Reale Menschen mit Mut und Zivilcourage, miteinander lose verbunden und aus ihren immer ganz eigenen Bezügen kommend führt Anne Nelson eindrucksvoll vor Augen. Ein Stück Humanismus, vor allem aber eine bestens gelungene Darstellung lebendiger und gelebter Geschichte und ein Vorbild für alle Situationen, die den persönlichen Einsatz erfordern.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2011-02-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.