„Dann tauchte in meinen Phantasien der ausdrückliche Wunsch auf, es Jesus nachzutun in seinem Opfer für die anderen Menschen, obwohl vollkommen unschuldig, verurteilt und getötet zu werden“, schrieb PPP - wie sein Biograph ihn gerne nennt - 1946, mehrere Jahrzehnte vor seinem Tod, gerade mal 24 Jahre alt geworden. Zu seiner Mutter hatte er einmal gesagt: „Mama, wenn ich groß bin, will ich Schiffskapitän und Dichter werden“. Letzteres erfüllte sich Pasolini schon alsbald, später wurde er einer der bekanntesten Schriftsteller und Filmregisseure – also irgendwie doch auch ein Schiffskapitän – Italiens. 1975 kam er durch ein Gewaltverbrechen um, dessen Umstände bis heute – 40 Jahre nach seinem Tod – immer noch nicht so richtig geklärt werden konnten. Nico Naldini, der acht Jahre jüngere Cousin Pier Paolo Pasolinis ist auch in Casarsa im Friaul aufgewachsen. Er beschreibt in dieser Chronologie das Leben und das gesamte Werk Pasolinis und beginnt mit den idyllischen gemeinsamen Jugendjahren in Casarsa, den ersten poetischen Versuchen Pasolinis im friaulischen Dialekt und den verwirrenden Erfahrungen der frühen Liebe. Naldini zitiert eine Fülle von Zeugnissen von und über Pasolini: Tagebücher, private Korrespondenz und Erinnerungen seiner Freunde, außergewöhnliche Fotos, aufgezeichnete Gespräche, journalistische Polemiken und ästhetische Auseinandersetzungen
mit seinen Kollegen.
Warum sind die Kommunisten so prüde?
Denn Pasolini war vor allem auch eines: Marxist. Ein Kommunist, der wegen „obszöner Äußerungen“ aus „seiner“ Partei ausgeschlossen worden war, einer Partei, die ihm alles nahm, nur weil er in seinem Frühwerk – Ragazzi di Vita, ebenfalls bei wagenbach erschienen – auf den „Perspektivismus“ verzichtet hatte. Schon in seiner Jugend wurde er durch den Faschismus und den Krieg politisiert und sah in der Antipode dazu – dem Kommunismus – den einzigen Ausweg aus der italienischen Misere. Der nach eigenen Aussagen eher durch seine Melancholie schüchterne junge Mann, besitze wenn er lustig sei, alle Elemente der Beredsamkeit, er werde sogar brillant, so zumindest PPP über sich selbst. Im Gegensatz dazu steht die Aussage von Gianfranco Contini: „Die Eigenschaft die Pasolini in selten hohem Maße besaß, war also nicht die Demut, sondern etwas, das viel schwerer zu finden ist: die Liebe zum Geringen, ich möchte geradezu sagen, Kompetenz in Demut.“
Der erfolgreiche Bürgerschreck
Das Adjektiv „pasolinisch“ ist bei Journalisten seit Pasolinis Erstling zu einer üblichen Bezeichnung für Leute aus der Malavita und deren Milieu geworden, schreibt NN. „Ich liebe das Leben so wild, so verzweifelt, dass mir nichts Gutes daraus erwachsen kann: ich meine die physischen Gegebenheiten des Lebens, die Sonne, das Gras, die Jugend: das ist ein viel entsetzlicheres Laster als Kokainsucht, es kostet mich nichts und ist in grenzenlosem Überfluss ohne Einschränkungen vorhanden: und ich verschlinge und verschlinge... Wie das enden wird, weiß ich nicht…“, schrieb PPP. Eigentlich war Pasolini Schriftsteller, doch die Versuchungen der Cinecittá waren zu groß. Außerdem konnte er sich mit den Filmen das Leben finanzieren, das er brauchte, um seine Romane und Gedichte zu schreiben. Den Erfolg hasste er ohnehin. Und auch die bürgerliche Gesellschaft, die ihm dazu verholfen hatte.: „Sowie du ihn (den Erfolg, JW) erreicht hast, wird klar, dass Erfolg etwas Hässliches für einen Menschen ist. Die Hoffnung ist völlig aus meinem Wortschatz gelöscht.“ Er wähle seine Schauspieler nach dem was sie sind und nicht nach dem was sie zu sein vorgeben, ein anderes Zitat Pasolinis, das zeigt, was er für ein Mensch war.
“Siamo tutti in pericolo“
„Nach der Literatur um dem Eros ist Fußball für mich eine der großen Freuden… Die Einsamkeit liebe ich am allermeisten.“ Pasolini wandte sich in den frühen Siebzigern als einer der ersten auch gegen den aufkommenden Konsumerismus der italienischen Mittelschicht. Die „konsumistische Ideologie“ werde durch eine „anthropologische Revolution“ unterstützt, in der der Mensch keine Wurzeln mehr habe, „er ist ein monströses Geschöpf des Systems; meines Erachtens ist er zu allem fähig“. Das, was Hitler brutal gemacht habe, „also indem er die Körper tötete, zerstörte das hat die konsumistische Zivilisation auf kultureller Ebene getan, aber in Wirklichkeit ist es dasselbe“. Pasolini hatte sich in seinem Werk immer wieder gegen den Verlust der Dialekte und die Vereinheitlichung, Zentralisierung der Sprache gewandt. Er war ein Mahner gegen die Einheitskultur und einer der letzten politischen Intellektuellen. „Meinen Realismus betrachte ich als einen Liebesakt: und meine Polemik gegen den Ästhetizismus der Innerlichkeit und Para-Religiosität des zwanzigsten Jahrhunderts fordert von mir, dass ich politisch Stellung beziehe gegen das faschistische und christdemokratische Bürgertum, die das Umfeld und der Nährboden für eine solche Kultur sind.“ Sein Vermächtnis harrt auch 40 Jahre nach seinem Tod noch einer entsprechenden Würdigung, wie sie etwa die Bücher des Wagenbach Verlages leisten.
Nico Naldini
Pier Paolo Pasolini
Eine Biographie
Aus dem Italienischen von Maja Pflug
WAT. 2012
392 Seiten. Broschiert
15,90 €
ISBN 978-3-8031-2679-5
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-02-13)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.